Menschen

Wir werden noch zusammenwachsen

Dirk Onnebrink lebt mit einem neuen Herzen. Ein Herzinfarkt schädigte sein altes Herz so schwer, dass er zum Überleben ein Spenderorgan brauchte. Wir haben ihn in Viersen besucht und bei selbstgebackenen Plätzchen in Herzform über den neuen Alltag und die Planung der Veranstaltung „Herzfest“ geplaudert. Das Gebäck war übrigens sehr lecker! Großes Kompliment an Dirks Kumpel, wenn er das hier liest …

 

Lebensritter: Bevor wir zum Herzfest kommen, würden wir gerne über Ihr altes und Ihr neues Herz sprechen. Fangen wir ganz von vorne an: Wie kam es zu dem Herzinfarkt?

 

Dirk Onnebrink: So genau kann man das gar nicht sagen. Ich hatte ein sehr stressiges Leben: eine schwierige Kindheit, die mich sehr geprägt hat und mein Verhalten bis heute beeinflusst, einen turbulenten Alltag, mehrere Jobs. Ich habe auf fünf Weihnachtsmärkten – in England und hier in Deutschland – Themenschmuck verkauft. Das waren Sonnenuhren, die man als Kette tragen kann. Zusätzlich hatte ich noch einen Internetshop und einen Schmuckladen hier in Viersen. Dann ist das Pfund in England in den Keller gegangen, die Weihnachtsmärkte haben sich nicht mehr gelohnt und ich habe mich als Elektriker selbstständig gemacht – irgendwann drehte ich mich im Kreis. Und dann kam der Herzinfarkt, das war Ende 2019.

„Ich habe auf Weihnachtsmärkten – in England und Deutschland – Sonnenuhren verkauft, die man als Kette tragen kann. Die Weihnachtsmärkte haben sich irgendwann nicht mehr gelohnt und ich habe mich als Elektriker selbstständig gemacht – ich drehte mich nur noch im Kreis. Dann kam der Herzinfarkt, Ende 2019.“

 

Lebensritter: Hat Stress Ihren Herzinfarkt ausgelöst?

 

Dirk Onnebrink: Das kann keiner mit Bestimmtheit sagen. Es gab auf jeden Fall keine Vorerkrankungen, die darauf hätten hindeuten können. Zusammenfassend würde ich ja sagen. Ich wollte immer von allen geliebt werden und habe mich dabei sehr vernachlässigt. Das kommt auch irgendwann beim Körper an. Leider ist das Thema Stress und Herzinfarkt vielfach noch tabu. Ich habe aber jetzt gehört, dass es den Beruf des Psychokardiologen gibt. Das finde ich ganz interessant.

 

[Anmerkung Lebensritter: Die Psychokardiologie befasst sich mit den Wechselwirkungen zwischen Herzerkrankungen und Psyche. Sie behandelt sowohl psychische Beschwerden, die durch die Auseinandersetzung mit der Herzerkrankung entstehen, als auch Herzkrankheiten, die durch psychischen Stress ausgelöst oder gefördert wurden. Inzwischen arbeiten viele kardiologische Akutkliniken eng mit psychosomatischen Diensten zusammen und bieten zum Beispiel unterstützende Gespräche an und helfen bei der Anbahnung einer Psychotherapie. Eine Liste qualifizierter Ärztinnen und Ärzte bietet das Informationsportal Psychokardiologie.]

 

Lebensritter: Haben Sie denn im Vorfeld gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt? Haben Sie sich krank gefühlt?

 

Dirk Onnebrink: Ein paar Tage vorher hatte ich ganz komische Träume, ich weiß aber nicht, ob das damit im Zusammenhang steht. Ich habe kaum geschlafen und in meinem stressigen Alltag ist die Selbstfürsorge, die man ja im Laufe seines Lebens lernt, auf der Strecke geblieben. Ich habe nicht mehr auf mich und meinen Körper gehört. Ich war zu Hause, mir wurde schwummerig und mir sind die Beine weggesackt. Irgendwie habe ich es noch geschafft, den Krankenwagen zu rufen. Das war irre, ich kann mich gar nicht mehr richtig daran erinnern. Ich wurde ins Krankenhaus gebracht und untersucht, es wurde auch ein EKG gemacht. Tja, und dann habe ich mich wohl selbst entlassen. Auf dem Weg nach Hause bin ich wieder umgekippt, das war schrecklich. Ich lag da morgens um 6 Uhr auf dem Bürgersteig und habe um Hilfe gerufen. Eine junge Frau, die mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit war, hielt an. Ich habe ihr gesagt, dass mit meinem Herzen etwas nicht stimmt, und sie hat den Krankenwagen gerufen. Ich hatte Panik und habe sie gebeten, so lange bei mir zu bleiben, bis die Sanitäter kommen. Das hat sie auch getan. Ich würde gerne wissen, wer sie war, und mich bei ihr bedanken – sie hat mir das Leben gerettet!

„Ich würde gerne wissen, wer sie war, und mich bei ihr bedanken – sie hat mir das Leben gerettet!“

 

Lebensritter: Wie ging es weiter?

 

Dirk Onnebrink: Viel weiß ich nicht mehr: Im Krankenhaus wurde ich an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen und in ein künstliches Koma versetzt, damit mein Körper zur Ruhe kommt. Am nächsten Morgen wurde ich mit einem Hubschrauber nach Düsseldorf geflogen.

 

Lebensritter: Und dann sind Sie irgendwann wach geworden …

 

Dirk Onnebrink: Ja, nach vier Wochen. Das berührt mich noch jetzt, wenn ich daran denke. Ich wurde wach, habe die Augen aufgemacht und sah die ganzen dicken Schläuche, die aus meinem Körper kamen, daneben diese große Maschine – ich war total verdattert. Meine damalige Freundin stand an meinem Bett und hat mir erzählt, was passiert ist. Mir wurde dann ein LVAD eingesetzt. [Anmerkung Lebensritter: Ein LVAD ist ein sogenanntes linksventrikuläres Unterstützungssystem, ein Kunstherz. Es wird in die linke Herzkammer eingesetzt und pumpt das Blut von dort in die Aorta.]

 

Lebensritter: Wann kam das Thema Transplantation zur Sprache, also wann wurde Ihnen gesagt, dass Sie ein neues Herz brauchen?

 

Dirk Onnebrink: Direkt mit dem Einsetzen des LVAD. Das Konzept mit dem Kunstherzen nennt sich ja „Bridge to transplant“, weil es eine Notlösung ist. Ich wurde sofort bei Eurotransplant gelistet.

 

Lebensritter: Haben Sie lange auf ein neues Herz warten müssen?

 

Dirk Onnebrink: Ein Jahr. Der Anruf kam um 7 Uhr morgens: „Wir haben ein Herz für Sie. Machen Sie sich schon mal bereit, wir sind in 15 Minuten bei Ihnen.“ Nach 10 Minuten kam der Krankenwagen mit Blaulicht. Mein Nachbar fragte: „Herr Onnebrink, was ist denn los?“ Und ich so: „Och, nichts Besonderes. Ich bekomme nur ein neues Herz!“ Das erzählt er mir heute noch, mit seinen 84 Jahren: „Herr Onnebrink, das war ja ne Nummer damals!“


Lebensritter:
Und die OP? Ist alles glattgelaufen?

 

Dirk Onnebrink: Eine Stunde später lag ich auf dem Tisch. Das war gut, weil ich keine Zeit hatte, mir Gedanken zu machen. Aber natürlich hatte ich Schiss! Mein Brustkorb tat noch weh von der Kunstherz-OP und dann reißen die alles wieder auf. Jetzt weiß ich auch, warum so eine OP so lange dauert. Das Ab- und Anklemmen des Herzens ist gar nicht so zeitintensiv. Aber das Durchschneiden der Hautschichten und des Gewebes, das ist die Kür, es dauert unter Umständen fünf Stunden, bis man dadurch ist – man will ja so wenig wie möglich verletzen.


Lebensritter:
Ohne eine Organspende wären Sie gestorben – wenn man eine solche Nachricht bekommt, kreisen die Gedanken dann nur noch um das neue Herz?

 

Dirk Onnebrink: Man verdrängt, dass man ohne ein neues Herz sterben wird. Ich hatte viel damit zu tun, das Kunstherz anzunehmen, mich damit zu arrangieren. Zwei Wochen vor dem Anruf habe ich mit vielen Freunden und Bekannten gesprochen und da kam von mir immer der Satz: „Das wäre mir jetzt zu früh mit einem neuen Herzen, das kann ich mir noch nicht vorstellen.“ Ich habe mich erst gar nicht getraut, so zu empfinden, aber das ging in mir vor.


Lebensritter:
Woher kam diese Angst?

 

Dirk Onnebrink: Wahrscheinlich, weil mir die Wunde noch weh tat und ich gar keine Zeit hatte, mich mit der Transplantation auseinanderzusetzen. Außerdem glaube ich heute, dass ich bereits eine Ahnung hatte, dass der Anruf kurz bevorstand.


Lebensritter:
Und heute? Wie leben Sie mit dem neuen Herzen?

 

Dirk Onnebrink: Man denkt ja: neues Herz, neues Spiel, neues Glück … aber so ist es nicht. Das Einzige, was da ist, ist eine neue Chance – aber die muss man auch ergreifen. Oder ergreifen können! Die Umstände müssen stimmen, sonst geht das nicht. Deshalb mache ich gerade eine Therapie, ohne die würde es, glaube ich, nicht gehen. Ich kenne mittlerweile viele, die das eine Zeitlang gemacht haben. Arbeiten kann ich nicht. Ich bin leider nicht so fit wie manch andere nach einer Transplantation, die wieder eingegliedert sind und arbeiten gehen.


Lebensritter:
Haben Sie sich eigentlich vor Ihrem Herzinfarkt Gedanken über Organspende gemacht?

 

Dirk Onnebrink: Ja, und ich fand das unangenehm. Ich habe das Thema vor mir hergeschoben, so wie viele andere Menschen auch. Wir denken ja, wir wären unsterblich, oder zumindest wirkt der Tod so weit entfernt. Und dann über Organspende nachdenken? Das will man nicht! Ich habe immer wieder über das Thema nachgedacht, aber nie so konsequent, dass ich mich darüber informiert oder sogar einen Organspendeausweis ausgefüllt hätte.


Lebensritter:
Denken Sie manchmal an Ihre Spenderin bzw. Ihren Spender?

 

Dirk Onnebrink: Zwischendurch denke ich an diesen Menschen. Ich glaube, dass sie oder er ein toleranter Mensch gewesen sein muss. Das Herz hat sich bei mir noch nicht quergestellt, wir haben uns noch nie gefetzt. Es gab bisher sieben Kontroll-Biopsien und alle waren in Ordnung. Das Herz und ich brauchen noch Zeit, um zusammenzuwachsen. Je mehr ich zu mir selbst komme, desto mehr kann ich es auch annehmen.

„Das Herz hat sich bei mir noch nicht quergestellt, wir haben uns noch nie gefetzt.“


Lebensritter:
Wie gehen Sie mit Menschen um, die gegen eine Organspende sind?

 

Dirk Onnebrink: Es gibt viele Gründe, warum die Leute dagegen sind – religiöse und ethische zum Beispiel. Es ist nicht immer greifbar, deshalb hinterfrage ich. Und wenn sich im Laufe des Gesprächs das „Nein“ zur Organspende verfestigt, dann frage ich: Warum machst du es dann nicht richtig und kreuzt auf dem Organspendeausweis „Nein“ an? Mach dein „Nein“ publik, das ist total wichtig! Für die Angehörigen und die Ärzteschaft ist es eine Qual, wenn die Frage nach der Organspende aufkommt. Das ist den meisten Menschen gar nicht klar. Das Leid sieht man ja bei einem schwerkranken Menschen, der ein Organ braucht. Bei den Ärztinnen und Ärzten sieht man es nicht. Und auch nicht bei den Angehörigen, die es aushalten müssen, sich von jemandem zu verabschieden. Es ist ein unglaublicher Stress für alle. Das Schlimmste ist aber, da geht jemand, von dem man gar nicht weiß, wie er zur Organspende steht – wenn die Person es nicht dokumentiert hat oder in der Familie mal darüber gesprochen wurde. So gesehen ist der Organspendeausweis eigentlich für die Angehörigen am wichtigsten, denn er nimmt eine riesige Last von den Schultern. Auch dafür soll das Herzfest sein, es soll ein offenes Gespräch fördern und dem ganzen Thema die Schwere nehmen.

„Der Organspendeausweis ist eigentlich für die Angehörigen am wichtigsten, denn er nimmt eine riesige Last von den Schultern.“

Lebensritter: Worum geht es konkret beim Herzfest? Was ist das für eine Veranstaltung?

 

Dirk Onnebrink: Das Herzfest ist ein Infotag mit Kulturprogramm am 05.08.2023 in Viersen. Mit Bands und Comedy – dabei sind Tom Marquardt, Pe Krieger, Betrayers of Babylon, Küppi and Friends – und prominenten Gästen sowie mit Unterstützung der Stadt, des örtlichen Einzelhandels und der Gastronomie möchten wir den Lindenplatz zu einer großen Bühne rund um das Thema Organspende machen. Wir wollen zeigen: Organspende ist kein Tabu. Wir dürfen und wir sollten darüber sprechen – mitten im Ort, mitten im Leben! Unsere alte Band Dharma Bums, bei der ich Schlagzeug gespielt habe, formiert sich jetzt fürs Herzfest neu. Ich will den Leuten zeigen, dass man mit einem neuen Herzen Freude bereiten kann!

 

Transplantierte und die, die auf ein Organ warten, werden ihre Geschichten erzählen. Wir freuen uns über alle Besucherinnen und Besucher, die wir in irgendeiner Form erreichen und denen wir eine Hilfe für eine bewusste Entscheidungsfindung sein können. Auch wer einfach nur die Geselligkeit und das Programm genießen möchte, ist herzlich willkommen. Expertinnen und Experten rund um den Düsseldorfer Mediziner und Leiter des Transplantationsprogramms des Universitätsklinikums Düsseldorf Prof. Dr. med. Udo Boeken stehen während der gesamten Veranstaltung an einem Info-Point bereit, um über medizinische und ethische Aspekte der Organtransplantation zu informieren und Fragen zu beantworten. Das Ganze wird durch Spenden finanziert.

 

Was vom Geld übrig bleibt, bekommen die Selbsthilfe Organtransplantierter NRW e. V. und der Verein Wünschewagen NRW. Ich finde Kultur und Organspende gehören unbedingt zusammen. Wir leisten hier ein bisschen Pionierarbeit – und ja, es gibt auch Widerstände, aber ich bin überzeugt, wir schaffen das! Ich kann nur aufrufen: vorbeikommen, unterstützen, spenden! Ich wünsche mir, dass viel Geld zusammenkommt, dass wir das Herzfest realisieren können und dass viel übrig bleibt, damit wir an die beiden Vereine spenden können.

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?

Kontaktieren Sie uns gerne direkt unter kontakt@lebensritter.de.