Die Kampagne #DüsseldorfEntscheidetSich ist mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, das Thema Organspende in die öffentliche Diskussion zu bringen und Organspendeausweise so einfach wie möglich und in einer großen Anzahl verfügbar zu machen. Es sollen bis zum Tag der Organspende am 3. Juni 2023 möglichst viele Menschen davon überzeugt werden, den Ausweis bei sich zu tragen – egal, ob darauf die Bereitschaft zur Organspende oder eine Ablehnung vermerkt ist. Wir haben mit Daniel Schrader über die Aktion gesprochen, einem der Initiatoren. Er ist Organspendekoordinator und Teil des Teams der Transplantationsbeauftragten des Uniklinikums Düsseldorf (UKD).
Im Folgenden gibt es das Interview mit Daniel Schrader zum Nachlesen.
Lebensritter: Herr Schrader, wie ist die Kampagne #DüsseldorfEntscheidetSich entstanden?
Daniel Schrader: Die Idee ist eigentlich daraus entstanden, dass wir uns überlegt haben, was wir zum Tag der Organspende planen könnten [Anmerkung Lebensritter: der Tag der Organspende findet seit 1983 bundesweit jedes Jahr am ersten Samstag im Juni statt. Er soll mit verschiedenen Aktionen auf das komplexe Thema Organspende aufmerksam machen.]
Durch Corona waren ja viele Präsenzveranstaltungen nicht mehr möglich und entsprechend konnten die Tage der Organspende auch nicht in der üblichen Form begangen werden. Da hatte Jörn Grabert von der Unternehmenskommunikation des UKD die tolle Idee, das ganze vielleicht vernetzt mit sozialen Medien aber auch auf lokaler Ebene nach vorne zu tragen. Unser Anliegen war es, etwas wirklich Nachhaltiges und breit Wirksames für den nächsten Tag der Organspende auf den Weg zu bringen, an dem sich möglichst viele beteiligen können.
Lebensritter: Wer beteiligt sich denn alles?
Daniel Schrader: Das Schöne an der Kampagne ist, dass alle mitmachen dürfen. Deswegen direkt der Appell: Wer diesen Beitrag sieht und dabei sein möchte – umgehend bei uns melden! Jede bzw. jeder kann mitmachen, von der Privatperson bis zur Stadtverwaltung. Wir arbeiten teilweise schon mit wirklich sehr großen Partnerorganisationen zusammen. Ganz vorneweg natürlich die Stadt Düsseldorf selber mit dem Oberbürgermeister als Schirmherrn. Und wir sind breit aufgestellt im Sport mit den großen, lokalen Sport-Institutionen wie der Düsseldorfer EG und dem Tischtennisverein Borussia Düsseldorf. Auch mit Fortuna Düsseldorf ist noch etwas geplant. Aber ebenso das Brauchtum, um mal den Düsseldorfer Karneval zu nennen oder die Düsseldorfer Jonges sind dabei. Darüber hinaus beteiligen sich beispielsweise kleine Boutiquen und verteilen Organspendeausweise. Es ist alles möglich.
Lebensritter: Wenn Sie auf die letzten Monate der Kampagne zurückblicken – welches Resümee ziehen Sie?
Daniel Schrader: Was mich am meisten erfreut, ist die positive Resonanz – sowohl aus professionellen Kreisen, als auch von Menschen, die Fragen haben. Oder wenn man sich die Kommentare in den sozialen Medien anschaut, da gibt es ganz viele Daumen, die nach oben zeigen. Also das finde ich schon mal toll, das signalisiert für mich eine große Offenheit und zeigt, wie positiv die Bevölkerung dem Thema gegenüber eingestellt ist. Das bestätigen übrigens auch die Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Und was ich natürlich großartig finde: Die Idee, Organspendeausweise breitflächig und in großer Anzahl verteilen zu können, funktioniert. Wir gehen jetzt stramm auf die 20.000 zu und es sind ja noch ein paar Monate Zeit bis zum 3. Juni, dem Tag der Organspende. Außerdem stehen noch ein paar Events an. Also auch unser Ziel ist erreicht! Ich kann natürlich nicht kontrollieren, ob die Ausweise nur mitgenommen oder auch ausgefüllt werden. Letzteres würde mich aber total freuen.
Lebensritter: In Ihrer Funktion als Organspendekoordinator sind Sie ständig mit anderen Menschen im Austausch. Wo sehen Sie beim Thema Organspende die größten Herausforderungen bzw. das größte Potenzial?
Daniel Schrader: Da muss man ganz klar sagen, dass die größte Herausforderung eigentlich immer das Gespräch mit den Hinterbliebenen ist. Das führe ich auch gar nicht alleine, da sind vor allem viele ärztlich erfahrene Kolleginnen und Kollegen involviert. Die Herausforderung ist, die Angehörigen ergebnisoffen zu beraten, also so, dass sie sich frei für oder gegen die Organspende entscheiden. Was aber häufig gar nicht so einfach ist, weil – das ist auch eine große Herausforderung – wir leider immer noch auf viele nicht oder falsch informierte Menschen treffen. Das ist natürlich im Akut-Prozess, das heißt, wenn es um die konkrete Frage der Organspende geht, besonders schwierig, weil das überhaupt kein guter Zeitpunkt ist, um aufzuklären. Die zweite Herausforderung ist ganz klar Aufklärung. Durch die Kampagne und die daraus entstandenen Kontakte zeigt sich sehr deutlich, dass die Menschen teilweise wirklich abstruse Vorstellungen und auch unbegründete Ängste beim Thema Organspende haben.
Lebensritter: Können Sie Beispiele nennen?
Daniel Schrader: Es sind die üblichen top drei, denke ich. Das erste ist: „Eigentlich finde ich Organspende gut, aber ich möchte keinen Ausweis im Portemonnaie haben, weil man dann ja sofort meine Organe haben möchte, wenn ich in die Klinik komme.“ – also die Angst vor einer vorzeitigen Einstellung oder einer schlechteren Therapie bzw. medizinischen Versorgung, was auf gut Deutsch völliger Unsinn ist. Um eine Organspende realisieren zu können, muss man Intensivmaßnahmen sorgfältig fortführen, die man in einer Situation, die medizinisch keinen Sinn mehr macht, eigentlich gar nicht mehr durchführen würde. Dann aber auch die Angst vor einer Entstellung durch die Organspende, sprich, dass mit dem Leichnam nicht würdevoll umgegangen wird. Das ist eine häufige Angst und auch wirklich manchmal durch krasse Worte belegt – dieses übliche „Ausschlachten“ oder „Ausweiden“ wird da gerne verwendet. Auch da ist es noch mal ganz wichtig zu betonen, dass eine Organspende im OP adäquat, würdevoll und vor allem chirurgisch professionell abläuft. Und es gibt Vorurteile, was Religionen angeht, also dass die Religion eine Organspende verbietet. Da finden sich in allen großen Weltreligionen, sei es Christentum oder Islam, vielleicht in Einzelfällen durchaus Strömungen oder auch eine orthodoxe Auslegung. Aber „Ich darf keine Organe spenden“ grundsätzlich als Argument anzuführen, ist nicht richtig.
Lebensritter: Welche Botschaft haben Sie zum Thema Organspende?
Daniel Schrader: Ich würde den Menschen gerne übermitteln, dass der Bedarf an Organen sehr groß ist und dass es jede Person treffen kann. Auch das ist eine häufig verbreitete Meinung: Ich verhalte mich gesund, ich bin sportlich, mir kann nichts passieren – wer ein Organ benötigt, hat das selbst verschuldet. Das stimmt nicht! Jeder Mensch kann beispielsweise durch eine Infektion oder einen Unfall sehr schnell ein Organ benötigen. Deswegen fände ich es aus Gründen der Solidarität, wie sie in Deutschland ja auch sonst gelebt wird, sehr wichtig, dass sich alle zu dem Thema Gedanken machen. Und eine Entscheidung treffen! Man sollte sich einfach überlegen – würde ich ein Organ empfangen wollen, wenn das notwendig wäre? Und dann finde ich persönlich es zumindest selbstverständlich, dass man auch selber bereit wäre, Organe zu spenden – in der übrigens sehr unwahrscheinlichen Situation.
Lebensritter: Noch kurz ein Blick zurück – Sie sind ja 2020 als Organspendekoordinator am UKD angetreten und quasi direkt von Corona ausgebremst worden. Wie hat sich Ihr Arbeitsleben, jetzt mal abgesehen von der Kampagne #DüsseldorfEntscheidetSich, entwickelt?
Daniel Schrader: Mein Ziel beim Antritt war, eine Kultur der Organspende in der Klinik zu schaffen. Die Organspende mit meinem Fachwissen modern und vor allem auch kommunikativ zu betrachten. Das alles hat trotz Corona besser funktioniert als befürchtet. Streckenweise war es natürlich auch anstrengender – wenn man beispielsweise eine vierstündige Fortbildung digital statt in Präsenz mit 20 und mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmern veranstaltet. Die werden am Bildschirm dann doch alle recht klein und manche schalten auch den Bildschirm aus – das zehrt, da muss man sich auch erst mal dran gewöhnen. Quantitativ gesehen hat es bei den Fortbildungen aber keine Einbußen gegeben. Ganz im Gegenteil: Die neue Form über digitale Medien hat sogar eher die Hemmschwelle gesenkt. Es haben sich Leute zugeschaltet, die sonst wahrscheinlich nicht teilgenommen hätten. Das habe ich auch bei mir selbst gesehen – ich konnte an Kongressen teilnehmen, ohne dass ich irgendwo hinfahren musste. So gesehen hat Corona die Teilnahme an Weiterbildungen und Infoveranstaltungen sogar gefördert. Die Mitarbeitenden hier im Haus zeigen großes Interesse und eine große Aufgeschlossenheit dem Thema gegenüber. Es gibt eine besondere Kultur der Organspende und ich stelle fest, dass ich auch als Nichtmediziner immer auf offene Ohren stoße. Gleichzeitig kann ich meine Kreativität ausleben – die Arbeit an der Kampagne #DüsseldorfEntscheidetSich ist nur ein Beispiel.
Im Rahmen der Kampagne #DüsseldorfEntscheidetSich haben wir mit weiteren Initiatoren gesprochen:
- Die Entscheidung zur Organspende ist ein Akt der Solidarität: Dr. Stephan Keller, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf, im Interview
- Der Plan geht auf – Düsseldorf entscheidet sich: Prof. Dr. Dr. Frank Schneider, Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Düsseldorf, im Interview
Jörn Grabert, Projektkoordinator der Pressestelle am Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD), und Daniel Schrader, Organspendekoordinator am UKD
Zu den Initiatoren des Projekts gehören die Uniklinik Düsseldorf und weitere Düsseldorfer Krankenhäuser, die Stadt Düsseldorf, die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) sowie das Netzwerk Organspende NRW e. V., zu welchem auch die LEBENSRITTER gehören. Inzwischen konnten zudem viele weitere Organisationen für die Idee begeistert werden, wie etwa die Rheinbahn, der Fußballverein Fortuna Düsseldorf, die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein oder der Tischtennisverein Borussia Düsseldorf.
Weitere Informationen zur Kampagne und zu den Teilnahmemöglichkeiten sind auf den Seiten der Uniklinik Düsseldorf und des Netzwerks Organspende NRW e.V. zu finden.
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