Menschen

Warten, warten und warten…

„Meine Geschichte hat die Runde gemacht – Zeitungen und Fernsehsender haben angerufen und um Interview-Termine gebeten.“ Wer da spricht, ist nicht berühmt. Er gehört auch nicht zu den A- oder C-Promis, die fast täglich durch die Medien geistern. Sven Krechting ist eigentlich ein ganz normaler Mensch. 25 Jahre alt, ledig, hört gerne Musik. Seine Facebook-Seite hat innerhalb weniger Tage über 300 Likes erhalten.

„Meine Geschichte hat die Runde gemacht – Zeitungen und Fernsehsender haben angerufen und um Interview-Termine gebeten. Ein Fernsehsender war auch schon bei mir.“

Der Grund für seine Bekanntheit ist dramatisch – seit Juli 2017 liegt Sven Krechting im Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen (HDZ NRW) und wartet auf ein neues Herz. Er kann und darf das Krankenhaus nicht mehr verlassen und wurde auf der höchsten Dringlichkeitsstufe für ein Spenderherz bei Eurotransplant gelistet. Mittlerweile ist er so schwach, dass er nur noch im Bett liegen beziehungsweise sitzen kann. Selbst Zähneputzen strengt an. Ein neues Herz muss her, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Und es ist schon das zweite! Sein erstes Spenderherz bekam Sven Krechting mit zweieinhalb Jahren

Lebensritter: Sie haben schon in jungen Jahren ein neues Herz bekommen, wie sieht das Leben mit einem Spenderherz aus?

 

Sven Krechting: Ich kam mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt, deshalb habe ich ein neues Herz bekommen. An den Krankenhausaufenthalt selbst kann ich mich natürlich nicht mehr erinnern. Ich habe nur noch ein Bild vor Augen, das mich bereits mein ganzes Leben begleitet: ein Bagger vor meinem Fenster. Ich weiß mittlerweile gar nicht mehr, ob ich das nur geträumt habe oder ob der wirklich da war, aber dieser Bagger vor meinem Fenster, das hat sich eingeprägt. Und natürlich habe ich die Narbe. Übrigens eine sehr schöne Narbe, die super verheilt ist – ich hoffe, die nächste wird auch wieder so schön. Oder noch schöner!

 

Mit dem neuen Herzen hatte ich eigentlich eine relativ normale Kindheit. Für mich war sie zumindest normal, ich kannte es schließlich nicht anders. Und ich hatte auch keine riesigen Einschränkungen. Auf ein paar Sachen musste ich beziehungsweise mussten meine Eltern natürlich schon achten. Sport war ein Problem und das ein oder andere Mal haben mich meine Eltern aus dem Sandkasten gezogen – wegen der Infektionsgefahr. Aber das war ja nichts Dramatisches. Klar, ich habe viel erlebt und musste einiges über mich ergehen lassen, aber im Grunde genommen habe ich 23 Jahre mit dem Spenderherz prima gelebt. Dafür bin ich dem Spender und seinen Angehörigen unendlich dankbar. Ich habe es immer gut behandelt, aber seine Leistungsgrenze ist jetzt leider erreicht.

Lebensritter: Herr Krechting, können Sie uns kurz erzählen, was passiert ist?

 

Sven Krechting: Es gab zwei Abstoßungsreaktionen, 2008 und 2013. Im Januar dieses Jahres musste mir ein Stent gelegt werden, weil sich ein Herzkranzgefäß verengt hatte. Leider verengten sich nach und nach auch weitere – da war mir eigentlich schon klar, was als Nächstes kommen wird. Natürlich habe ich Angst. Aber eigentlich überwiegt die Hoffnung. Es gibt ja auch keine Alternative! Also muss man das Ganze doch positiv sehen, oder? Den Kopf hängen lassen bringt ja nichts. Und ich selbst bin auch gar nicht so, ich bin eigentlich ein optimistischer Mensch. Und man muss positiv denken – gerade in meiner Situation. Ich finde, wenn man sich selbst aufgibt, hat man schon verloren. Also sehe ich nach vorne.

Lebensritter: Apropos nach vorne blicken – Sie wissen natürlich nicht, wann Sie ein neues Organ bekommen, aber wissen Sie schon, was Sie als Erstes machen werden, wenn Sie mit einem neuen Herzen entlassen werden?

 

Sven Krechting: Ganz tief durchatmen und endlich wieder einmal frische Luft schnappen. Endlich draußen sein und nicht mehr nur in diesem Bett in diesem Krankenzimmer hocken. Und, sobald es geht, einfach mal für ’ne Woche wegfahren. Meer und Strand genießen, relaxen, reichlich essen, brunchen gehen mit allem Drum und Dran. Das Leben leben.

„Ganz tief durchatmen und endlich wieder einmal frische Luft schnappen.“

Lebensritter: Haben Sie schon Pläne für die Zukunft?

 

Sven Krechting: Ich will auf jeden Fall wieder arbeiten gehen.

 

Lebensritter: Zurück ins Hier und Jetzt – wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

 

Sven Krechting: Ziemlich langweilig: Aufwachen. Warten. Untersuchungen. Warten. Frühstück. Warten. Visite. Warten. Mittagessen. Warten. Besuch. Warten. Abendessen. Warten. Schlafen. Aufwachen. Und alles wieder von vorne. Ich bin immer froh, wenn ein Tag geschafft ist.

Lebensritter: Haben Sie eigentlich Kontakt zu anderen Patienten?

 

Sven Krechting: Nein, ich kann ja nicht aus dem Bett. Aber ich habe in der Ambulanz einige kennengelernt. Wir haben zusammen im Wartezimmer gesessen und sind dann ins Gespräch gekommen – das war fast wie eine kleine Selbsthilfegruppe. Seitdem schreiben wir uns fast täglich. So gesehen habe ich natürlich doch Kontakt zu anderen.

Lebensritter: Und wie ist der Blog auf Facebook entstanden?

 

Sven Krechting: Als ich hier ins Herzzentrum kam, konnte ich ja nicht viel machen. Ich war und bin ziemlich schwach. Also habe ich viel gelesen – über Transplantationen, über Herzen, über OPs. Und man glaubt gar nicht, wie viel Unsinn zum Teil geschrieben wird. Das war dann auch für mich der Antrieb, eine eigene Facebook-Seite zu erstellen. Hier erzähle ich von mir, von meiner Wartezeit und von meinem Krankenhausalltag. Nicht nur um mich zu beschäftigen, sondern auch um den Leuten zu zeigen, wie es einem Menschen geht, der auf eine Organspende wartet, und was eine Spende konkret bewirken, wie sie das Leben eines Menschen verändern und retten kann.

Lebensritter: Sie haben auch einen Flyer erstellt …

 

Sven Krechting: Genau, ein Infoblatt mit eingeklebtem Organspende-Ausweis. Wir haben bisher über 500 davon verschickt. Ich hoffe, noch mehr Leute fordern den Flyer an. Wenn nämlich mal kein Besuch da ist oder wenn ich abends Langeweile habe, klebe ich die Ausweise in die Flyer – so habe ich wenigstens etwas zu tun. Der Flyer ist ein richtiges Familienprojekt: Mein Vater hat das Logo mit den drei Herzen gestaltet, ich habe meine Geschichte erzählt und zusammen mit meiner Mutter und Schwester machen wir alles versandfertig.

 

Den Flyer kann man über meine Facebook-Seite anfordern, wir haben ihn aber auch schon verteilt – bei Ärzten im Wartezimmer oder auch in Apotheken. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig die Menschen überhaupt über Organspende wissen. Und dabei geht es gar nicht nur um die Organspende an sich, sondern auch um den Ausweis – jemand fragte mich mal, was er denn jetzt mit dem Ausweis machen soll … Mit meinem Flyer und meiner Facebook-Seite möchte ich den Menschen das Thema näherbringen. Ich würde niemals jemanden zwingen, Organspender zu werden. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber es ist mir ein Anliegen, die Leute zumindest so weit zu informieren, dass sie sich entscheiden können.

„Der Flyer ist ein richtiges Familienprojekt: Mein Vater hat das Logo mit den drei Herzen gestaltet, ich habe meine Geschichte erzählt und zusammen mit meiner Mutter und Schwester machen wir alles versandfertig.“

Lebensritter: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass sich viele Menschen nicht mit dem Thema Organspende auseinandersetzen?

 

Sven Krechting: Ich denke, Angst ist ein Grund. Man will sich nicht mit dem Thema beschäftigen, will sich keine Gedanken darüber machen. Es wäre schön, wenn meine Geschichte dazu anregt, doch einmal darüber nachzudenken.

Wer mehr über Sven Krechting erfahren möchte, klickt einfach auf seinen persönlichen Blog bei Facebook: Sven Krechting – mein Weg zum Spenderherz

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?

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