Menschen

Transplantationspflege – meine persönliche Herzensangelegenheit

Das Thema Organtransplantation hat viele Facetten. Wir haben schon mit einigen Menschen gesprochen, die ein Organ erhalten haben oder sich für Aufklärung einsetzen. Dieses Mal betrachten wir einen weiteren Aspekt – die Pflege. Pflege ist durch die Corona-Pandemie in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Dabei geht es zwar hauptsächlich um die Arbeit auf den Intensivstationen, aber auch die peripheren Stationen haben einen großen Anteil am Gesundheitssystem. Wir haben mit Krankenschwester Lara Marks gesprochen. Sie arbeitet seit 1990 am Universitätsklinikum Köln in der Allgemein-, Viszeral- und Tumorchirurgie und ist seit 2002 auf der Transplantationsstation mit den Schwerpunkten Patientenedukation nach Nieren-, Bauchspeicheldrüsen- und Lebertransplantation tätig.

Lebensritter: Frau Marks, wie sind Sie zur Transplantationspflege gekommen?

Lara Marks: Nach meiner Ausbildung habe ich in der Viszeralchirurgie [Anmerkung Lebensritter: auch Bauchchirurgie genannt; umfasst die operative Behandlung der Bauchorgane, d. h. des gesamten Verdauungstraktes einschließlich der Speiseröhre, des Magens, des Dünn- und Dickdarmes, des Enddarmes, der Leber, der Gallenblase, der Bauchspeicheldrüse und der Milz] angefangen. 2002 wurde an der Klinik die Transplantationspflegestation aufgelöst und in unsere Abteilung integriert. Transplantationspflege ist dann schnell meine persönliche Herzensangelegenheit geworden. 2012 habe ich meine erste Weiterbildung zur Pflegefachkraft für Transplantationspflege absolviert. In den folgenden Jahren sind noch viele externe Fortbildungen dazugekommen. Ich fand es immer besonders faszinierend, wenn Patienten auf Kongressen ihre Lebensgeschichte erzählt haben. Da war zum Beispiel ein junger Vater, dessen Tochter ohne adäquate Nierenfunktion zur Welt gekommen ist. Als das Mädchen zwei Jahre alt war, hat er ihr eine Niere gespendet. 2019 habe ich das kleine Mädchen, das mittlerweile neun Jahre alt war, wiedergesehen – quicklebendig auf einer Vereinsfeier bei einem Selbsthilfeverein. Das ist schon ein tolles Gefühl! Seit 2017 halte ich hier an der Uniklinik Köln eine Pflegesprechstunde ab, in der ich mich um Organempfänger kümmere, die eine Leber, Niere oder ein Pankreas erhalten haben, und um Lebendnierenspender.

Lebensritter: Wie laufen die Sprechstunden ab?

 

Lara Marks: Ich berate am Telefon und jetzt in Corona-Zeiten auch online. Dann besuche ich die Patienten natürlich auch auf der Transplantationsstation.

 

Lebensritter: Kommen Sie automatisch als Transplantationsbegleiterin zum Patienten oder müssen Sie angefordert werden?

 

Lara Marks: Ich komme einmal die Woche auf die Station. Wenn ich die Patienten das erste Mal gesehen habe, teile ich meine acht Stunden die Woche auf. Wenn nötig, versuche ich die Termine so zu planen, dass ein Angehöriger bei dem Gespräch dabei sein kann. Das gestalten wir sehr individuell, jeder Patient ist ja anders und hat andere Lebensumstände.

 

Lebensritter: Worüber sprechen Sie mit den Patienten?

Lara Marks: In der Pflegeberatung vor der Transplantation ist es wichtig, Patienten zum Beispiel Informationen über Ernährung und Hygiene zu geben – danach wird sehr häufig gefragt. Es geht aber auch um ganz praktische Tipps, zum Beispiel dass man im Krankenhaus nach der Transplantation bequeme Kleidung tragen sollte, am besten eine Nummer größer. Die Patienten sind meist sehr dankbar, dass sie solche Dinge im Vorfeld erfahren. Gerade jetzt in der Pandemie ist es mit Besuch ja schwierig – da können Angehörige nicht mal eben etwas vorbeibringen. Deshalb ist es besser, dass die Patienten wissen, welches Kleiderpäckchen gepackt werden sollte und was getrost zu Hause bleiben kann.

Nach einer Transplantation ist die Abstoßung ein großes Thema, das ist die größte Angst bei Transplantierten. Dazu kommen Fragen wie: Wie lange kann ich mit dem Organ leben? Wie geht es meinem Lebendspender? Bei jungen Patienten kommt das Gespräch auch häufig auf die Sexualität – viele trauen sich nicht, solche Sachen ihren Arzt zu fragen, da gibt es große Hemmschwellen. Ich bespreche das dann mit den Patienten unter vier Augen.

Lebensritter: Beraten Sie neben den Patienten auch die Angehörigen?

Lara Marks: Ja, denn die Familie hat unter Umständen auch schon einiges hinter sich. Wenn ich mit den Patienten spreche, sehe ich, wo Bedarf ist. Die Angehörigen betrifft es automatisch, sei es, dass der Patient direkt seine Angehörigen dazuholt („Essen? Da sprechen Sie mal direkt mit meiner Frau, ich koche eh nicht!“) oder weil es grundlegende Informationen gibt, die alle Personen im Haushalt betreffen. Die größte Sorge bei fast allen ist die Angst vor einer Infektion. Die Familie glaubt, sie müssen zu Hause ein komplett steriles Umfeld schaffen. Hier kann ich ihnen die Angst nehmen, ihnen sagen, dass sie keine Putzkolonne brauchen. Regeln müssen natürlich beachtet werden, Haustiere dürfen beispielsweise nicht ins Schlafzimmer, bestimmte Pflanzen müssen entfernt werden. Es ist wichtig, aufzuzeigen, dass eine Transplantation nicht ein Umfeld der Angst und Sorge schaffen soll. In der Pflegeberatung werden alle Punkte angesprochen, so dass Patient und Angehörige beruhigt nach Hause gehen können.

„Ich gebe den Patienten meine Kontaktdaten und sage ihnen, dass sie sich immer an mich wenden können.“

Lebensritter: Wie lange begleiten Sie Patienten – bis zur Entlassung oder auch darüber hinaus?

 

Lara Marks: Ich gebe den Patienten meine Kontaktdaten und sage ihnen, dass sie sich immer an mich wenden können. Manche rufen nach einem halben Jahr an, weil sie in die Reha wollen und nicht mehr wissen, an wen sie sich wenden müssen. Andere melden sich nach kurzer Zeit, weil sie unsicher sind, was sie essen dürfen. Ich bin auch für Spender da. Viele fragen, wann sie wieder arbeiten gehen können. In einem handwerklichen Beruf oder gar auf dem Bau können sie nach einer Organspende meistens nicht nach sechs oder acht Wochen wieder mit der Arbeit anfangen. Bei den Lebendspendern ist es ja so, dass sie relativ schnell aus der ärztlichen Kontrolle in der Klinik rausfallen, sobald sie entlassen sind. Und der Hausarzt kann auch nicht alles wissen. Wo bekomme ich bestimmte Gelder? Wer sind meine Ansprechpartner? Welche Anlaufstellen kommen für mich infrage? In der Pflegeberatung können wir schnell die richtigen Antworten auf solche Fragen geben.

 

Lebensritter: Gibt es eigentlich an jeder Klinik einen pflegerischen Transplantationsbegleiter?

 

Lara Marks: Leider nein. Meiner Meinung nach müsste das aber standardisiert sein und in den Transplantationsprozess integriert werden. Die Begleitung vor und nach der Transplantation ist enorm wichtig. Wir können den Patienten viele Ängste nehmen – ein Nierenpatient, der neun Jahre auf der Warteliste steht und dann einen Anruf bekommt: „Wir haben eine Niere, kommen Sie mal schnell!“, der ist maximal überfordert. Die Transplantationsbeauftragten sind ja schon standardisiert, aber für die Pflege gibt es das noch nicht. Schon in der Transplantationsauswahl der Patienten sollte die Pflege mit an Bord sein. In Amerika ist es beispielsweise so, dass, wenn Patienten gelistet werden, immer eine Pflegekraft aus dem Team dabei ist, die berät, wie adhärent [Anmerkung Lebensritter: Als Adhärenz bezeichnet man die Einhaltung der gemeinsam vom Patienten und Behandler gesetzten Therapieziele im Rahmen eines Behandlungsprozesses] der Patient ist und ob es überhaupt sinnvoll ist, zu transplantieren: Es gibt Menschen, die weigern sich, Medikamente zu nehmen – die sind aber unverzichtbar, wenn man ein Organ transplantiert bekommt. Ich finde es außerdem wichtig, dass die Spezialisierung für die Transplantationspflege ausgebaut wird, denn nicht jeder kann pflegen! Das geht nur dann, wenn man adäquat geschult ist. Ich bin 2. Vorsitzende im Verein „AKTX Pflege e. V. Arbeitskreis Transplantationspflege e. V.“, in dem wir uns unter anderem genau dafür starkmachen.

Lebensritter: Warum ist für uns in Deutschland das Thema Organspende so schwierig?

 

Lara Marks: In Deutschland spricht man über Tod und Sterben am liebsten gar nicht. Viele Menschen haben Angst und denken: „Ich bin noch nicht tot und jemand nimmt mir die Organe raus!“ Deshalb finde ich es auch immer so toll, wenn Betroffene in die Öffentlichkeit gehen, ihr Gesicht zeigen und ihre Geschichte erzählen. Viele Menschen wundern sich dann: „Du siehst ja ganz normal aus!“ Ja, wie soll ein Mensch denn aussehen, wenn er zum Beispiel nierentransplantiert ist? Eine Registrierung für Organspende müsste bei uns viel einfacher organisiert werden. Ich bin mal auf einer Zugfahrt mit einer Australierin ins Gespräch gekommen – die hat mir ihren Pass gezeigt und sagte: „Sehen Sie mal, hier ist mein Pass und hier steht, ich bin Organspender. Und jedes Mal, wenn der Pass verlängert werden muss, werde ich erneut gefragt!“ Die Politik muss auch bei uns einen schnelleren Weg finden – der Brief, den die Krankenkasse schickt, landet ja doch meistens im Papierkorb. Zum Glück nimmt in der Bevölkerung das Bewusstsein zu, dass Organspende Leben retten kann!

 

Lebensritter: Brauchen wir in diesem Bereich mehr Eigeninitiative?

 

Lara Marks: Ja, denn es macht den Genesungsprozess einfacher, wenn man Dinge geregelt hat, die man oftmals nicht mehr regeln kann, wenn man zu krank ist. Deshalb kann ich nur empfehlen, offen über das Thema Organspende zu sprechen und einen Organspendeausweis auszufüllen – was auch immer man ankreuzt.

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?




















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