Menschen

Tanz, der das Herz berührt

Ballett und Organspende – geht das zusammen? Alfonso Palencia, der neue Ballettdirektor am Theater Hagen, hat gezeigt, dass dies sogar ausgesprochen gut funktioniert! Der 41-jährige Spanier präsentierte mit „Dancing Souls“ einen zeitgenössischen Ballettabend mit den Werken „Soma“, „Extremely close“ und „Luminous heart“. In allen drei Stücken geht es im weitesten Sinne um Körper, Seele und Herz – „Luminous heart“ greift ganz konkret das Thema Organspende auf.

Lebensritter: Herr Palencia, worum geht es in dem Stück „Luminous heart“ genau?


Alfonso Palencia: Delphin ist eine junge, schwer herzkranke Frau, die eine Transplantation benötigt. Ihr Freund Guillaume wird von mehreren Männern fast zu Tode geprügelt, für ihn gibt es keine Überlebenschance. Er realisiert, dass er mit seinem Herzen, also seiner Spende, das Leben seiner Freundin vielleicht retten kann. Delphin ist voller Schmerz und Trauer, gleichzeitig aber auch voller Hoffnung und Trost: Sie kann weiterleben, kann etwas von ihrem Freund in sich tragen und bewahren. Die Transplantation verläuft erfolgreich und in einer letzten Begegnung der beiden verdeutlicht Delphin, dass Guillaume immer bei ihr sein wird. Im Leben gibt es immer Gutes und Schlechtes, das Leben ist nicht perfekt – Delphin darf weiterleben, Guillaume wird totgeprügelt. Auch das ist übrigens ein Thema, das in dem Stück aufgegriffen wird: In unserer heutigen Gesellschaft verlieren Jugendliche leider manchmal die Kontrolle, wenn sie feiern. Situationen eskalieren immer öfter – oftmals mit schlimmen Folgen.

Lebensritter: Wie ist die Idee zu diesem Stück entstanden? 

Alfonso Palencia: Ich bin in meinem Heimatland Spanien in mehreren Fällen mit Organspende in Berührung gekommen. Es gab einen Fall in meiner Familie und auch in meinem Freundeskreis: Eine Transplantation ist gut gegangen, die andere leider nicht. Das Thema bewegt mich, deshalb habe ich die Deutsche Stiftung Organspende kontaktiert und mich informiert. Es hat mich wirklich erschreckt, wie wenig Spender es hier in Deutschland gibt. Ich wollte den Ballettabend dafür nutzen, die Besucher zu erreichen und ihr Bewusstsein gegenüber diesem Thema zu schärfen. Ich bin Künstler und möchte durch meine Kunst etwas bewegen. Ich will eine Botschaft senden und mich nicht nur auf Tanz und Bewegung beschränken – ich musste ja selbst erfahren, was Organspende für die Betroffenen und auch für die Angehörigen und Freunde bedeutet: die ständige Unruhe. Die Hilflosigkeit, weil man nur hoffen und begleiten, aber nichts tun kann. Die Stunden, die man im Krankenhaus wartet … Wenn ich der Freund von Delphin wäre, wäre für mich ganz klar, dass ich mein Herz der Frau spende, die ich liebe.

„Ich bin Künstler und möchte durch meine Kunst etwas bewegen. Ich will eine Botschaft senden und mich nicht nur auf Tanz und Bewegung beschränken.“

Lebensritter: Und wie reagiert das Publikum?


Alfonso Palencia: Bei „Luminous heart“ waren die Zuschauer gleichzeitig berührt, betroffen und sehr angetan. Wir hatten ja mehrere Aufführungen, aber bei allen waren die Reaktionen ähnlich: Am Ende des Stückes war es immer erst sehr still, die meisten sind zunächst baff. Manche sind im ersten Moment vielleicht auch schockiert – doch dann wird geklatscht. Das ist auch verständlich: Das Thema Krankheit oder auch Tod ist beängstigend, nicht jeder kann damit umgehen, viele bleiben lieber auf Distanz und wollen sich nicht damit beschäftigen. Aber als Künstler ist es meine Aufgabe, auch schwierige Themen auf die Bühne zu bringen.

Lebensritter: War das Thema eine besondere Herausforderung für die Tänzer?

Alfonso Palencia: Ein Tänzer ist kein Schauspieler, er hat keine Sprache zur Verfügung, trotzdem muss er schauspielern können. Er hat die Aufgabe, die Geschichte durch Bewegung, durch Tanz und durch Mimik so rüberzubringen, dass der Zuschauer versteht, was dort auf der Bühne vor sich geht. Eine besondere Herausforderung ist natürlich die Geschichte selbst – eine solche Rolle zu tanzen, wenn man gar nicht selber krank beziehungsweise betroffen ist, dazu gehört schon einiges. Die Arbeit an dem Stück war ein unglaublich guter Prozess, wir haben wahnsinnige Momente im Ballettsaal erlebt, ich hatte ganz oft Gänsehaut. Es gab viele Emotionen und sogar Tränen – die Organspende wurde im Theater real, obwohl das Stück nur Fiktion ist. Es war wunderschön und ich bin sehr, sehr stolz auf die Leistung meiner Tänzer.

Lebensritter: Geht man in Spanien mit dem Thema Organspende eigentlich anders um als hier in Deutschland?

Alfonso Palencia: Ja, da gibt es deutliche Unterschiede. Wir haben zum Beispiel die Widerspruchslösung, es dürfen also jedem Hirntoten Organe entnommen werden, wenn er oder die Angehörigen nicht ausdrücklich widersprochen haben. Für uns Spanier ist Organspende ein offenes Thema, wir reden viel darüber, und gerade junge Leute engagieren sich in Vereinen und bei Veranstaltungen. Es gibt sogar eine Fernsehserie über Transplantation. Ich weiß nicht, warum es in Deutschland anders ist. Es gibt sicherlich viele Faktoren, warum Menschen sich nicht mit Tod und Transplantation beschäftigen – ich denke, wissenschaftlich interessierte Menschen sind vielleicht eher zu einer Organspende bereit.

„Für uns Spanier ist Organspende ein offenes Thema, wir reden viel darüber, und gerade junge Leute engagieren sich in Vereinen und bei Veranstaltungen.“

Lebensritter: Im Stück hat Delphin Visionen, sie sieht, dass etwas Schreckliches passieren wird, sie glaubt an Engel. Ein Teil der Bühnendekoration besteht aus Zwischenwänden, welche die Zone zwischen Leben und Tod symbolisieren. Glauben Sie an Übersinnliches?

Alfonso Palencia: Ja. An nichts Konkretes, aber etwas ist da, davon bin ich überzeugt. Ich war 25 Jahre alt, als ich einen schweren Unfall hatte. 2001 wurde ich von einem PKW in voller Fahrt überfahren. Wie durch ein Wunder blieb mein Körper so gut wie unverletzt. Allerdings wurde mein Kopf schwer in Mitleidenschaft gezogen, unter anderem der gesamte Kiefer zertrümmert. Ich war für drei Minuten tot – das hat mein Leben verändert. Ich glaube, es gibt mehr, als wir wissen. Und ich glaube, wenn ein Herz in einen anderen Körper transplantiert wird, gibt es eine neue Verbindung, irgendetwas passiert. Mich beschäftigt das Thema: Verändert sich im Leben, Fühlen und Denken eines Transplantierten etwas? Lebt der Verstorbene im Überlebenden weiter? Das sind Fragen, die mich zu „Luminous heart“ inspiriert haben. Und ich hoffe, meine Botschaft ist beim Publikum angekommen.

Lebensritter: Für alle, die nicht im Theater waren – wie lautet Ihre Botschaft?

Alfonso Palencia: Man darf nie die Hoffnung und den Mut verlieren. Nicht aufgeben, sondern sich durchs Leben mit all seinen Schwierigkeiten und außergewöhnlichen Vorkommnissen kämpfen. Und letztlich natürlich die Anregung, über das Thema Organspende nachzudenken.

„Man darf nie die Hoffnung und den Mut verlieren.“

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