Menschen

Stefan – ein Stern, der auf der Erde weiterlebt

Stefan ist Ende 2016 gestorben. Seine Angehörigen haben einer Organspende zugestimmt. Lunge, Leber und Nieren wurden transplantiert und haben drei Menschen das Leben gerettet. Wie ist es, eine solche Entscheidung zu treffen und wie lebt man damit? Wir haben mit Julia-Katharina Lobsch gesprochen, Nichte und Patenkind des Verstorbenen.

Lebensritter: Wer noch nie in einer solchen Lage war, kann es sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen – ein Verwandter stirbt und man muss entscheiden, ob die Organe gespendet werden oder nicht. War das schwer für Sie?

Julia-Katharina Lobsch: Die Situation an sich war schwierig. Das Schwerste daran war natürlich der Tod meines Onkels, denn wir haben uns sehr nahegestanden. Es ist nie einfach, einen geliebten Menschen zu verlieren. Der Tod ist immer schlimm, besonders für die, die zurückbleiben. Die Entscheidung dagegen, ob seine Organe gespendet werden sollen, war für mich – und auch für die anderen Familienmitglieder – relativ einfach: ja! Es war für uns „leicht“, weil wir im Vorfeld in unserer Familie oft über das Thema gesprochen hatten.

„Der Tod ist immer schlimm, besonders für die, die zurückbleiben.“

Lebensritter: Sie als Angehörige mussten eine Entscheidung treffen – das heißt, ihr Onkel hatte keinen Organspendeausweis?

Julia-Katharina Lobsch: Nein. Aber wir wussten, wie er über das Thema denkt. Im Sommer 2016 hatte meine Oma einen Schlaganfall, deshalb hatten wir uns schon mit Tod und Organspende beschäftigt. Wir waren uns alle einig: Wenn es mal – bei wem auch immer aus unserer Familie – so weit kommen sollte, geben wir unsere Zustimmung.

Lebensritter: Besitzen Sie denn einen Organspendeausweis?

Julia-Katharina Lobsch: Ja, ich habe jetzt einen und trage ihn immer in meinem Portemonnaie bei mir. So ein Ausweis ist enorm wichtig. Genauso wichtig ist es, mit seinen Angehörigen über das Thema Organspende zu sprechen. Jeder sollte wissen, was der andere will. Auch wenn man keine Verfügung aufgesetzt hat und keinen Ausweis hat, sollte man zumindest seiner Familie mitteilen, was man möchte. Sonst müssen die Angehörigen in so einer schwierigen Situation, die an sich schon eine riesige Belastung ist, diese wichtige Entscheidung treffen – ohne zu wissen, ob sie im Sinne des Verstorbenen ist. Das ist doch furchtbar!

Lebensritter: Haben Sie je an Ihrer Entscheidung gezweifelt?

Julia-Katharina Lobsch: Nein, nie! Keiner von uns. Wenn manche Menschen Angst davor haben, dass Organe entnommen werden, obwohl man noch lebt, oder dass die Maschinen früher abgestellt werden, wenn man Organspender ist – da kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Als die Diagnose Hirntod gestellt wurde und wir Stefan in seinem Bett gesehen haben, war uns klar, dass er tot ist. Auch jetzt, ein Jahr später, habe ich keinerlei Zweifel daran, dass unsere Entscheidung richtig war. Es war genau das Richtige! Stefan hat immer allen geholfen, wenn Not am Mann war – und jetzt hat er über seinen Tod hinaus anderen geholfen. Dadurch dass seine Organe in anderen Menschen weiterleben, denke ich immer, dass er noch da ist. Am Tag der Organentnahme habe ich jedes Mal, wenn ein Hubschrauber über uns hinweggeflogen ist, gedacht, vielleicht ist da ja ein Organ von Stefan drin und rettet ein Leben. Das war komisch. Aber auch schön. Und vor allem tröstlich.

„Das war komisch. Aber auch schön. Und vor allem tröstlich.“

Lebensritter: Wie ist es denn zum Tod Ihres Onkels gekommen?

Julia-Katharina Lobsch: Stefan hatte ein Aneurysma, das zu einer Hirnblutung führte. Er musste nachts um halb zwölf ins Krankenhaus nach Duisburg, weil er rasende Kopfschmerzen hatte. Dort haben die Ärzte sofort eine Bohrung am Schädel durchgeführt, um den Druck zu senken. Das hat auch gut funktioniert. Als ich ihn am nächsten Tag besucht habe, war er wie immer hauptsächlich um andere besorgt: Er hat nach meinem Baby gefragt und wollte wissen, wie es meinem Fuß geht – ich war nämlich umgeknickt … Es ging ihm wirklich gut. Die Ärzte sagten aber, dass es zwischen dem 7. und 14. Tag zu Rückschlägen kommen kann. Tja, und am 14. Tag ist es dann auch tatsächlich passiert: ein Schlaganfall. Seine Schädeldecke ist noch geöffnet worden, aber man konnte leider nichts mehr für ihn tun. Die Diagnose lautete Hirntod. Wir hatten schon am 13. Tag über die Möglichkeit einer Organspende gesprochen. Am 14. Tag bekamen wir einen Anruf, dass wir ins Krankenhaus kommen sollten, am 15. Tag ist er dann gestorben.

„Am 14. Tag bekamen wir einen Anruf, dass wir ins Krankenhaus kommen sollten, am 15. Tag ist er dann gestorben.“

Lebensritter: Wie haben Sie die Zeit im Krankenhaus erlebt?

Julia-Katharina Lobsch: Die Ärzte und Pfleger haben sich wirklich toll verhalten. Sie haben sich viel Zeit für uns genommen und uns alles erklärt. Uns wurde genau gesagt, welche Untersuchungen durchgeführt werden, wie die Werte sind und so was alles. Am Tag der Organentnahme haben sie uns angerufen und gesagt, dass sie gleich beginnen. Und sie haben noch mal angerufen, als sie fertig waren. Wenn mir jemand erzählt, der Mensch würde „ausgeweidet“ oder „ausgeschlachtet“, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Das ist doch schrecklich! So etwas erzählen meist Leute, die keine Ahnung davon haben. Aber nicht nur die Klinik hat sich toll verhalten, sondern auch die DSO (Anm.: Deutsche Stiftung Organspende). Stefan hat zwei Nieren, die Leber und die Lunge gespendet. Wir haben später von der DSO Briefe bekommen, den ersten kurz nach dem Tod meines Onkels, den zweiten ein halbes Jahr später. Man teilte uns mit, dass die Organe an Menschen im Alter zwischen 18 und 54 gegangen sind, dass es den Transplantierten gut geht, dass sie jetzt in der Reha sind und die Organe funktionieren. Man kann übrigens auch bei der DSO nachfragen, wie es den Transplantierten geht.

Lebensritter: Finden Sie diese Informationen hilfreich?

Julia-Katharina Lobsch: Ja, sehr. Es ist schön zu wissen, dass Stefan jemandem die Chance auf ein weiteres Leben geben konnte, obwohl seines die Chance nicht mehr hatte. Den Organempfängern geht es gut, das ist wunderbar – und irgendwie ist er so doch noch bei uns. Wir waren jetzt zweimal bei einem Angehörigen-Treffen der DSO. Wenn man mit den Menschen dort spricht, zeigt sich, dass alle ein ähnliches Empfinden haben: Durch die Spende lebt der verstorbene Angehörige weiter. Ich habe dort auch Transplantierte kennengelernt – eine von ihnen war die Lungentransplantierte Claudia Krogul. Wir haben uns lange unterhalten. Und haben uns ganz lange in den Arm genommen …

„Es ist schön zu wissen, dass Stefan jemandem die Chance auf ein weiteres Leben geben konnte, obwohl seines die Chance nicht mehr hatte. „

Lebensritter: Zum Todestag Ihres Onkels haben Sie einen Text auf Facebook gepostet. Warum? Und warum erst ein Jahr später?


Julia-Katharina Lobsch: Ich habe das geschrieben, um meine Trauer zu verarbeiten. Und auch, um die Leute wachzurütteln. Wenn jemand Geliebtes stirbt und ein anderer die Chance auf ein weiteres Leben hat, wieso soll man ihm diese Chance verweigern? Ich kann nur jedem sagen: Ihr wärt doch auch froh, wenn ihr krank wärt und ein passendes Organ da wäre. Die wenigsten wissen zum Beispiel, dass man auf dem Ausweis auch die Zustimmung nur für bestimmte Organe ankreuzen kann. Für mich ist wichtig, dass man den Angehörigen die Entscheidung abnimmt, dass man sie selber trifft – auch wenn man „Nein“ auf dem Ausweis ankreuzt. Aber es ist wenigstens eine Entscheidung. Und nach meiner Erfahrung kann ich wirklich nur sagen: Redet mit eurer Familie und euren Freunden!

Aufklärung ist so wichtig! Ich würde mich auch vor eine Schulklasse stellen und unsere Geschichte erzählen.

Lebensritter: Sie haben eine jetzt siebenjährige Tochter – hat sie das alles mitbekommen?

Julia-Katharina Lobsch: Ja, sie war auch mit auf der Beerdigung. Und sie weiß auch, dass ich Organspenderin bin. Wir haben viel geredet, und ich habe ihre Fragen, so gut es ging, beantwortet. Für sie ist Stefan auch noch da. Für mich lebt er durch die Spende hier auf Erden weiter, für sie ist er im Himmel und achtet von dort auf uns. Wenn es dunkel ist, schaut sie in den Himmel und sagt: Guck mal, der Stern da oben, das ist Stefan.

„Aufklärung ist so wichtig! Ich würde mich auch vor eine Schulklasse stellen und unsere Geschichte erzählen. „

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?














Kontaktieren Sie uns entweder direkt unter kontakt@lebensritter.de oder verfassen Sie hier Ihre Nachricht an uns.