Menschen

Organspende braucht ein Gesicht

Stefanie Schmitz lebt mit einer Spenderleber. Akutes Leberversagen durch medikamentöse Vergiftung lautete die Diagnose, die das Leben der gebürtigen Kölnerin komplett auf den Kopf gestellt hat. Wir haben mit ihr ein Online-Interview geführt, weil wir mehr über die Frau wissen wollten, die mit ihrer Geschichte das Thema Organspende in den sozialen Medien öffentlich macht.

Lebensritter: Frau Schmitz, hat eigentlich irgendetwas darauf hingedeutet, dass Ihre Leber mal versagen könnte – Vorerkrankungen oder Ähnliches?

 

Stefanie Schmitz: 2014 hatte ich schon mal erhöhte Leberwerte, das war nach einer Weisheitszahn-OP. Mir wurde Ibuprofen verschrieben. Nach der Einnahme bin ich ganz gelb geworden und mir ging es sehr schlecht. Ich kam ins Krankenhaus und habe Antibiotika bekommen, daraufhin haben sich die Leberwerte aber wieder normalisiert. Im Nachhinein denke ich, wenn damals schon eine Leberbiopsie gemacht worden wäre, hätte man vielleicht früh genug festgestellt, dass ich das Medikament nicht vertrage.

Lebensritter: Und wie ist es dann zum Leberversagen gekommen?

 

Stefanie Schmitz: Ich hatte schon immer Probleme mit meinen Nasennebenhöhlen und wurde schließlich auf Anraten meines HNO-Arztes an der Nasenscheidewand operiert. Verschrieben wurde mir wieder das gleiche Schmerzmittel. Tja, und fünf Wochen später, im März 2019, hat meine Leber versagt. Meine Leberwerte waren so hoch, dass die Ärzte mich gefragt haben, ob ich Alkohol oder Drogen konsumiere … Ich habe natürlich verneint. Diese Information ist aber wichtig, denn bei einer Lebertransplantation muss man den Grund für das Versagen des Organes kennen. Bei mir war es eine medikamentöse Vergiftung. Echt Pech, denn eigentlich wird das Schmerzmittel über die Niere abgebaut und ich gehöre halt zu den ganz wenigen Menschen, bei denen es über die Leber abgebaut wird.

Lebensritter: Merkt man eigentlich, dass etwas nicht stimmt, dass die Leber versagt? Ist das ein Prozess oder passiert das von jetzt auf gleich?

 

Stefanie Schmitz: Ich habe schon was gemerkt. Nach meiner Nasen-OP war ich die ganze Zeit sehr müde – so müde, dass ich sogar auf einer Party eingeschlafen bin! Ich habe auch in sehr kurzer Zeit sehr viel zugenommen: von 55 Kilogramm rauf auf 80 Kilogramm – und das, obwohl ich immer sehr viel Sport gemacht habe. Auf Anraten meiner Ärztin habe ich das Medikament nicht mehr genommen. Als ich trotzdem gelbe Augen bekam und mein Urin dunkel wurde, hat sie mich sofort in die Uniklinik Köln geschickt.

Lebensritter: Wie ging es dann weiter?

 

Stefanie Schmitz: Erst wurde ein Ultraschall gemacht – komischerweise sah die Leber ganz gut aus. Einen Tag später wurde dann eine Biopsie durchgeführt. Danach kamen vier Ärzte in mein Zimmer und meinten: „Frau Schmitz, wir müssen über eine Lebertransplantation sprechen. Es muss nicht sein, es könnte aber sein und wir brauchen vorher Ihre Zustimmung.“ Wenn man nämlich ein akutes Leberversagen hat, kann es dazu kommen, dass man nicht mehr zurechnungsfähig ist – das habe ich ja kurze Zeit später selbst erfahren müssen. Die Ärzte haben mir alles erklärt, aber es war für mich total irreal, weil ich dachte: Warum soll ausgerechnet ich transplantiert werden? Ich geh doch in zwei Wochen wieder nach Hause … Na ja, Montag wurden dann Herz und Lunge überprüft, Dienstag hatte ich Geburtstag und ab da weiß ich gar nichts mehr. Meine Eltern haben mir später einiges erzählt: Ich habe meine Tante und meine Eltern beleidigt, getreten, bespuckt, ich wusste nicht mehr, wer ich bin – hepatischer Anfall [Anmerkung Lebensritter: Bei einer hepatischen Enzephalopathie wird das Gehirn durch Ammoniak und andere Stoffe vergiftet, die sich im Blut anreichern, weil sie nicht mehr von der Leber herausgefiltert werden.]. Die Ärzte sagten meinen Eltern, dass ich ohne ein Spenderorgan nur noch 76 Stunden zu leben hätte. Zum Glück habe ich rechtzeitig ein Organ bekommen.

„Die Ärzte sagten meinen Eltern, dass ich ohne ein Spenderorgan nur noch 76 Stunden zu leben hätte. Zum Glück habe ich rechtzeitig ein Organ bekommen.“

Lebensritter: Wie verlief die Transplantation?

 

Stefanie Schmitz: Ich bin Freitag operiert worden, die OP hat acht Stunden gedauert. Sonntag bin ich zum ersten Mal richtig wach geworden. Ich habe geschrien, weil ich nicht wusste, wo ich bin und was passiert war. Ich hatte schreckliche Angst. Ich habe mich aber schnell wieder beruhigt und die ersten zehn Tage ging es mir auch relativ gut. Allerdings haben sich meine Leberwerte trotz Spenderorgan nicht verbessert. Deshalb musste ich eine Thymoglobulin-Therapie machen, bei der das Immunsystem komplett runtergefahren wird. Dann hatte ich eine Stenose [Anm. Lebensritter: Verengung] an der Leber-Arterie, dadurch wurden die Gallengänge porös und Gallenflüssigkeit ist in meinen Bauchraum gelaufen. Diesmal kamen sechs Ärzte in mein Zimmer und meinten: „Sie müssen noch mal transplantiert werden.“ Ich habe geweint, ich wollte nicht alles noch mal durchmachen. Man hat mir zunächst Stents auf die porösen Stellen der Gallengänge gesetzt, aber mir ging es immer schlechter. Von März bis Juni lag ich im Krankenhaus, dann durfte ich mal nach Hause, musste aber immer zweimal die Woche zur Kontrolle ins Krankenhaus. Ich war total gelb, meine Haare waren schon lila, ich war wieder runter auf 58 Kilogramm. Am 16. August bekam ich den erlösenden Anruf – wir haben ein Organ für Sie! Ein Organ, das ein anderes Transplantationszentrum abgelehnt hat. Und ich war die Nächste auf der Liste! Ein junges Organ, 23 Jahre alt, ob Frau oder Mann, das weiß ich nicht. Dann kam es aber zu einer Abstoßungsreaktion, kurz vor Weihnachten. Anfang des neuen Jahres musste ich wieder zur Leberbiopsie, es wurde wieder eine Thymoglobulin-Therapie durchgeführt und das hat dann endlich geklappt. Seitdem war ich wegen der Leber nicht mehr im Krankenhaus!

„Am 16. August bekam ich den erlösenden Anruf – wir haben ein Organ für Sie! Ein Organ, das ein anderes Transplantationszentrum abgelehnt hat.“

Lebensritter: Wie lebt man mit einer neuen Leber?

 

Stefanie Schmitz: Es gibt Tage, da denke ich gar nicht daran, ich merke ja auch nichts. Aber es hat sich einiges verändert. Ich darf nicht mehr alles essen und trinken. Ich habe eine Laktoseintoleranz entwickelt. Aber ich will mich nicht beschweren! Nach der ersten Transplantation ging es mir ja richtig schlecht. Es gibt eben gute und schlechte Tage – das ist bei gesunden Menschen ja auch so. Ich bin ein sehr positiver Mensch, aber manchmal denk ich auch: Warum ausgerechnet ich? Aber man darf den Kopf nicht in den Sand stecken – wenn man 24 Stunden am Tag nur an seine Krankheit denkt, kann man nicht gesund werden. Zum Glück bin ich durch meinen Job abgelenkt. Meinen Beruf als zahnmedizinische Fachangestellte musste ich leider an den Nagel hängen, das haben mir die Ärzte ganz klar gesagt – mit einem transplantierten Organ ist die Infektionsgefahr in einer Zahnarztpraxis einfach zu groß. Seit dem 15.01.2021 arbeite ich als Fachassistentin bei der Bundesagentur für Arbeit im Bereich der Insolvenzgeldstelle.

„Es gibt Tage, da denke ich gar nicht daran, ich merke ja auch nichts.“

Lebensritter: Dort sind Sie doch bestimmt auch von den Corona-Hygiene-Vorschriften betroffen – wie gehen Sie damit um?

 

Stefanie Schmitz: Für Transplantierte wie mich ist das ja nichts Neues. Wir müssen sehr auf Hygiene achten, Händewaschen und Mundschutz gehören für uns zum Leben. Auch am Arbeitsplatz. Ich sitze mit drei Kollegen in einem Großraumbüro, da ist der Abstand schon mal gegeben. Ich habe direkt gesagt: „Leute, ich bin transplantiert, wenn ihr zu mir an den Schreibtisch kommt, setzt bitte den Mundschutz auf.“ Das ist gar kein Problem. Meine Kollegen hatten sogar angeboten, den ganzen Tag die Masken aufzulassen, aber das finde ich nicht notwendig. Wir können ja regelmäßig lüften. Mein Vorstellungsgespräch hatte ich über Skype, das hat auch wunderbar geklappt. Ich kann also im Alltag gut damit umgehen. Aber Corona an sich finde ich sehr schlimm, ich versuche, das Thema nicht zu sehr an mich rankommen zu lassen.

Lebensritter: Warum sind Sie mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen?

 

Stefanie Schmitz: Ich möchte Organspende zu den Menschen bringen. Deshalb engagiere ich mich im BDO [Anmerkung Lebensritter: Bundesverband der Organtransplantierten e. V.] und poste viel auf Instagram und Facebook. Das habe ich vor meiner Transplantation auch schon gemacht. Anfangs wollte ich allerdings nicht über meine Transplantation schreiben, weil ich dachte, dass das keinen interessiert. Aber eine Freundin hat mich dann überredet. Mein Post auf Facebook von der Intensivstation hat über 1000 Likes gebracht, verschiedene Influencer haben ihn regepostet, daraufhin haben sich auch Zeitungen wie „Express“ bei mir gemeldet, dann kam sogar RTL … Ich habe viele positive Reaktionen erhalten, habe aber auch viel Kritik einstecken müssen. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte eine ganze Schachtel Schmerzmittel geschluckt und solch ein Blödsinn. Oder auch Kommentare zur Organspende grundsätzlich. Einer schrieb: „Wie kann man sich nur transplantieren lassen, man sollte doch gefälligst akzeptieren, dass man stirbt.“ Im Grunde gab es aber mehr positive Reaktionen als negative. Auf Instagram haben Studenten angefragt, ob sie mich interviewen könnten – ich finde das gut, weil Organspende so ein Gesicht bekommt, damit man sieht, dass nicht nur kranke und alte Leute eine Organspende brauchen, sondern auch normale junge Leute wie ich. Ich habe auch selbst schon einen Vortrag gehalten. Meine Transplantationspflegerin Lara Marks hat mich gefragt, ob ich Interesse hätte – ich habe sofort zugesagt. In der Köln-Messe habe ich dann vor Ärzten gesprochen, mein Vortrag hieß „Wie sich mein Leben schlagartig änderte“. Das war toll, so etwas würde ich gerne noch einmal machen.

Lebensritter: Was raten Sie Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind wie Sie? Was war Ihr Anker?

 

Stefanie Schmitz: Auf jeden Fall meine Familie und mein Freund Vincenzo. Es ist toll, wenn man jemanden hat, der einem den Rücken stärkt. Die Familie motiviert einen nicht nur, sie ist auch der Grund dafür, dass man nicht aufgibt, sondern weiterkämpft – so war es zumindest bei mir. Ich versuche positiv zu bleiben und sage mir: Schlimmer geht immer! Meine Mutter meint zwar, dass eine Organtransplantation ja schon schlimm genug sei – das stimmt natürlich. Aber es gibt Menschen, die liegen im Bett und können sich nicht bewegen. Ich dagegen kann mich selbst verpflegen, ich kann arbeiten gehen. Ich bin zwar nicht gesund, aber ich kann mich auch nicht beklagen!

 

Lebensritter: Denken Sie eigentlich manchmal an Ihre Spender?

 

Stefanie Schmitz: Ja, täglich. Ich frage mich, was für Menschen die beiden waren, wie sie gelebt haben, was sie gemocht haben. Wenn ich in der Stadt bin, zünde ich immer zwei Kerzen im Dom an – zwei Kerzen für meine zwei Spender!

„Die Familie motiviert einen nicht nur, sie ist auch der Grund dafür, dass man nicht aufgibt, sondern weiterkämpft – so war es zumindest bei mir.“

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?

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