Menschen

Organentnahme ist, wenn man tot ist!

„Ach, wie schön war doch das Warten damals auf den Weihnachtsmann … dann das Warten auf die Liebe … Ach, wie war das Warten damals schön … Warten auf ein anderes Organ, Warten – das ist jetzt ganz anders ….“ „The Dandys“ besingen die Herausforderung des Wartens, mit der jeder konfrontiert ist, der eine Organspende benötigt. Dieter Kemmerling, Mitbegründer der Band, weiß das aus eigener Erfahrung.

 

Mit der Initiative „No Panic for Organic“, die von „Deutschland – Land der Ideen“ mit dem Titel „Ausgewählter Ort 2008“ ausgezeichnet wurde, wollen er und seine Mitstreiter erreichen, dass Organspende als etwas Positives gesehen wird und mehr Menschen ihre Organe spenden. Wenn man ihn allerdings fragt, was sie bisher alles erreicht haben, fällt die Bilanz nüchtern bis deprimierend aus.

Die Initiative „No Panic for Organic“ wurde 2008 vom damaligen Bundespräsidenten Köhler mit dem Titel „Ausgewählter Ort 2008“ ausgezeichnet.

Dieter Kemmerling:

Seit 2005 haben wir etwa eine Million Organspendeausweise verteilt. Und was hat sich getan? Gar nichts. Noch schlimmer: Die Zahl der Organspender ist in den letzten Jahren sogar zurückgegangen – von damals 1.200 auf heute nur noch 800 bis 900 Transplantationen. Und obwohl rund 80 % der Bevölkerung dem Thema positiv gegenüberstehen, haben nur geschätzte 15 % einen Organspendeausweis. Das hat Folgen: Von den rund 12.000 Menschen, die auf ein Organ warten, sterben täglich drei, weil sie nicht rechtzeitig eines bekommen.

Dieter Kemmerling ist selbst transplantiert und engagiert sich seit dem für die Organspende.

Lebensritter:

Das ist enorm frustrierend – warum machen Sie trotzdem weiter?

 

Dieter Kemmerling:

Weil mir und allen anderen von der Initiative „No Panic for Organic“ das Thema sehr am Herzen liegt. Ich selbst habe 2001 eine neue Leber bekommen und am eigenen Leib erfahren, wie lebenswichtig Organspenden sind. Wenn wir Konzerte spielen, sage ich auch ganz offen zum Publikum: „Leute, wenn ich keine neue Leber bekommen hätte, würde ich heute Abend nicht hier oben stehen und für euch Musik machen.“ Wir haben einen Organspendeausweis im Scheckkartenformat herausgebracht, den wir überall verteilen.

 

Den 250.000sten bekam übrigens der Münsteraner Bischof Dr. Felix Genn – als das bekannt wurde, haben tausende Menschen ebenfalls einen bestellt. Wie man sieht, braucht es Vorbilder, die zeigen, dass Organspende nichts ist, vor dem man Angst haben muss.

Organspendeausweis der Initiative „No Panic for Organic“

Lebensritter:

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass immer weniger Menschen bereit sind, einen Organspendeausweis auszufüllen?

 

Dieter Kemmerling:

Da gibt es sicherlich viele unterschiedliche Gründe. Ich glaube, dass die Hirntod-Diagnostik in den letzten Jahren in der Diskussion zu sehr in den Vordergrund gestellt wurde. Überhaupt ist das ganze Thema Organtransplantation ein sehr komplexes Thema, das ein Nicht-Mediziner nur schwer verstehen kann. Ein Zuviel an Detail-Information schadet unter Umständen, weil die ganzen Fakten von medizinischen Laien nicht immer richtig eingeordnet werden können.

 

Am Ende bleibt so eigentlich bei den meisten nur eine Frage zurück – bin ich wirklich tot, wenn die Organe entnommen werden? Darauf gibt es meiner Ansicht nach nur eine ganz klare Antwort: Organentnahme ist, wenn man tot ist!

Lebensritter:

Gibt es weitere Gründe?

 

Dieter Kemmerling:

Ja, es ist die Beschäftigung mit dem Tod. Das wollen die meisten nicht. Die Verdrängung des Absoluten – und der Tod ist ja absolut – ist ein natürlicher Schutzmechanismus des Menschen. Wir als Transplantierte beschäftigen uns natürlich mit dem Tod, viele andere nicht. Aber es kann jeden treffen. Jeder kann in die Situation kommen, in der es um ein lebensrettendes Organ geht – ob durch Krankheit oder durch einen Unfall. Die Menschen finden viele Gründe, sich nicht mit dem Thema auseinanderzusetzen und erst mal eine ablehnende Haltung einzunehmen:

 

Die Ärzte sind schlecht, es geht nur um Profit und Geld usw. Es fehlt in unserer Gesellschaft das Bewusstsein, eine unverkrampfte Diskussion. Betrachtet man etwa AIDS, ist das ein gutes Beispiel: Als die Krankheit damals aufkam, wurde sie von den Medien und allen Beteiligten zu einem gesellschaftlichen Problem gemacht. Das hat funktioniert, AIDS war im Bewusstsein aller. Das müssen wir mit der Organspende auch schaffen. Dazu kommen natürlich auch die Richtlinien der Ärztekammer und die Gesetze – Änderungen könnten sich hier sehr positiv auswirken. Und eines muss man auch mal ganz klar sagen: Wir leben von dem „Organüberschuss“ anderer Länder!

 

Die Organe werden ja zentral über die Stiftung „Eurotransplant“ vermittelt. Zum Einzugsgebiet gehören Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Slowenien und Ungarn. Deutschland hat im Vergleich die wenigsten Spender! Das liegt natürlich auch an unserer Gesetzgebung. In anderen Ländern, in Österreich zum Beispiel, ist man automatisch Organspender. Will man das nicht, muss man aktiv widersprechen. Bei uns ist es umgekehrt: Niemand ist Organspender, ehe er aktiv zustimmt. Verstehen Sie mich nicht falsch:

 

Wer seine Organe nicht spenden möchte, aus welchen Gründen auch immer, ist nicht automatisch ein schlechter Mensch. Aber wer sich gegen eine Organspende entscheidet, sollte mal überlegen, ob er, wenn er mal ein lebensrettendes Organ braucht, auch noch sagt: „Nein, ich möchte keine Organspende!“ Das ist doch wie an der Börse: Ich kann nicht sagen, ich nehme nur die Gewinne mit und mit den Verlusten will ich nichts zu tun haben.

Lebensritter:

Sind Sie eigentlich in einer Selbsthilfegruppe aktiv?

 

Dieter Kemmerling:

Nein, das ist nichts für mich. Es sind schon einige Vertreter unterschiedlicher Gruppen auf mich zugekommen, aber ich wollte nicht. Für mich ist die Musik das geeignete Mittel, mit meiner Situation umzugehen. Und sie ist ein Transportmittel, um das Thema anderen näherzubringen und die Problematik öffentlich zu machen. Ich glaube, es braucht diesen emotionalen Weg, um auch die Leute zu erreichen, die sich noch nicht mit Organspende beschäftigt haben.

„Die Musik ist mein Transportmittel um das Thema Organspende den Menschen näher zu bringen.“

Lebensritter:

Denken Sie manchmal an Ihren Spender? Sind Sie ihm dankbar?

 

Dieter Kemmerling:

Ja, und mein Engagement ist das Zeichen meiner Dankbarkeit. Ob mit „No Panic for Organic“ oder auch „The Dandys“ – ich werde weitermachen, so lange es irgendwie geht und dafür kämpfen, dass Organspende als etwas Positives gesehen wird, dass sich das Bewusstsein in der Bevölkerung ändert und so mehr Menschen durch eine Transplantation gerettet werden können.

„No Panic for Organic“ wurde von Steffi Stephan (Bassist und Gründer des „Panikorchesters“), Detlev Jöcker (Kinderliedermacher) und Dieter Kemmerling (Bassist bei „The Dandys“) gegründet. Mittlerweile sind das UKM (Universitätsklinikum Münster), alle anderen Krankenhäuser in Münster und eine Vielzahl Kliniken im Münsterland eine Kooperation mit „No Panic for Organic“ eingegangen und haben sich zur Partnerschaft „Pro Organspende“ zusammengeschlossen.

 

„The Dandys“ sind bis heute ungeschlagener Beat-Weltmeister: 1965 gegründet, brachen sie 1967 den Weltrekord und spielten knapp 240 Stunden am Stück. Ihr Programm besteht aus Cover-Songs aus den 60er Jahren und eigenen. Dabei stehen aktuelle gesellschaftliche Themen im Vordergrund – nicht nur Organspende, sondern auch Gewalt von rechts oder beispielsweise der Umgang der Gesellschaft mit alten Menschen.

 

Wer mehr über die Initiative „No Panic for Organic“ erfahren möchte kann sich auf der Homepage informieren.

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?

Kontaktieren Sie uns gerne direkt unter kontakt@lebensritter.de.