Menschen

Nur ein Symptom ist kein Symptom

Inka L’hoest hat eine neue Leber und lässt sich so schnell nicht unterkriegen. Die 38-Jährige lebt mit ihrem Mann André und den Söhnen Patrick, Christopher und Marius in Dortmund. Das digitale Interview gestaltete sich teilweise schwierig, weil die Stimme von Inka L’hoest ein bisschen angeschlagen war. Nichts Schlimmes, nur etwas heiser und ein leichtes Hüsteln. Doch in Zeiten von Corona macht man sich Gedanken. Und da wären wir auch schon beim Thema. Denn während wir uns als „Nicht-Risikogruppe“ schon Sorgen machen, sieht es für jemanden, der ein Organ transplantiert bekommen hat, noch mal ganz anders aus. Deshalb haben wir uns sehr gefreut, dass wir Inka L’hoest für ein Gespräch gewinnen konnten. Natürlich Corona-sicher in digitaler Form.

Lebensritter: Frau L’hoest, bevor wir auf Corona eingehen, können Sie uns kurz erzählen, wie es zu Ihrer Transplantation kam?

 

Inka L’hoest: 2017 habe ich im Juli routinemäßig eine Blutuntersuchung durchführen lassen – es war alles in Ordnung, da war nichts Auffälliges. Mitte September traten dann Beschwerden auf, die immer schlimmer wurden. Keiner wusste, wo die Beschwerden
herkamen. Weil mir auch meine Gelenke so weh taten, bin ich irgendwann zum
Rheumatologen gegangen. Der stellte dann massiv erhöhte Leberwerte fest – so außergewöhnlich hoch, dass eine Erkältung oder Ähnliches nicht die Ursache hätte sein können. Es kamen noch weitere Symptome hinzu: Übelkeit, dunkler Urin, abends Fieber, Erschöpfung, Schlaffheit … eigentlich all das, was auf Leberversagen hindeutet. Tja, und meine Hausärztin hat mich Anfang November dann direkt ins Krankenhaus geschickt.

Lebensritter: Wie haben Sie die Zeit im Krankenhaus erlebt?

 

Inka L’hoest: Von den ganzen Untersuchungen habe ich kaum etwas mitbekommen, der Fortschritt der Krankheit war dramatisch, ich war verwirrt und habe vieles vergessen. Ich weiß noch, dass man mich gefragt hat, ob ich irgendwo im Ausland war, wo man sich Hepatitis einfangen kann – war ich aber nicht. Die Diagnose lautete „Autoimmune Hepatitis“. Meine Leber war schon so geschädigt, dass ich dringend ein neues Organ brauchte. Bisher ist keine Ursache für diese Krankheit bekannt, es weiß keiner, was der Auslöser ist. Es hat mich und meine Familie wirklich wie aus dem Nichts getroffen! An dieser Stelle muss ich auch mal ein ganz dickes Lob aussprechen: Mein Mann und meine Eltern haben die Situation ganz toll gemeistert! Ich wusste, dass meine Kinder immer gut versorgt waren, das hat mir wirklich geholfen. Und für sie war es ja auch schwierig: die bedrückende, betrübte Stimmung im Krankenhaus zu erleben und dann zu Hause Highlife und Gekasper mit den Kindern zu veranstalten. Während dieser Zeit hat meine Familie viele Fotos gemacht. Ich habe etwa zwei Monate nach dem Krankenhausaufenthalt ein Fototagebuch daraus erstellt und Stichworte dazu notiert.

Inka L’hoest vor der 2. Transplantation: „Es hat mich und meine Familie wirklich wie aus dem Nichts getroffen!“ (Foto: privat)

Lebensritter: Haben Sie lange auf ein neues Organ gewartet?

 

Inka L’hoest: Nein, das ging zum Glück sehr schnell. Das musste es auch, sonst hätte ich nicht überlebt. Nach 14 Tagen wurde retransplantiert, weil die erste Leber abgestoßen worden war. Wobei die erste mir das Leben gerettet hat, denn bis zur zweiten Leber, die ich ja nur 14 Tage später bekam, hätte ich es ohne Transplantation nicht geschafft.

Lebensritter: Wie geht es Ihnen jetzt gesundheitlich?

 

Inka L’hoest: Den Umständen entsprechend gut. Das erste Jahr nach der Transplantation war aber schlimm. Es kamen einige Komplikationen hinzu. So wie jetzt schlechte Tage selten sind, waren in der Zeit gute Tage selten. Man sorgte sich, wenn einem übel war. Oder wenn man Fieber hatte. Oder wenn’s einfach nicht so lief. Ich habe mir dann irgendwann gesagt: Nur ein Symptom ist kein Symptom. Und es sind ja nicht nur die körperlichen Beschwerden – auch der Kopf spielt eine große Rolle. Man stellt sich viele Fragen: Wie läuft es zu Hause? Wie lange dauert es noch? Wie wird mein weiteres Leben sein? Kommt meine Familie zurecht? Wie gehen die Kinder damit um? Welche Auswirkungen meine Lebertransplantation langfristig auf meine Kinder hat, weiß ich nicht. Aber es hätte ja auch schlimmer kommen können – wenn ich nicht rechtzeitig eine Spenderleber bekommen hätte, wäre ich gestorben.

Inka L’hoest nach der 2. Transplantation: „Man stellt sich viele Fragen: Wie läuft es zu Hause? Wie lange dauert es noch? Wie wird mein weiteres Leben sein?“ (Foto: privat)

Lebensritter: War Organspende eigentlich vor Ihrer Transplantation ein Thema?

 

Inka L’hoest: Nein. Ich habe zwar 2013 einen Ausweis ausgefüllt, ihn dann aber vergessen. Ich bin auch nicht mit dem Thema in Berührung gekommen, es gab keine Fälle im Familien- oder Freundeskreis. Ich denke immer wieder darüber nach, einen Dankesbrief zu schreiben, irgendetwas hindert mich aber immer daran. Ich weiß, dass meine Leber nicht aus Deutschland kommt, das macht es natürlich noch mal schwieriger, weil man nicht weiß, ob der Brief ankommt. Und was schreibe ich? Bin ich dankbar? Klar, aber selbstverständlich nicht glücklich darüber, dass jemand anderes gestorben ist – es ist also ein schmaler Grat. Jeder sollte sich mit dem Thema Organspende auseinandersetzen, denn es kann einen schneller treffen als gedacht – das sieht man ja an mir. Deshalb bin ich auch gerne bereit, öffentlich über meine Transplantation zu sprechen. Hier in dem Interview, gegenüber der Presse und auch in der Fotoausstellung „LEBEN SCHENKEN“ – Organspende in NRW des Netzwerks Organspende NRW e. V. – da bin ich auf einer riesengroßen Leinwand zu sehen!

Lebensritter: Wie gestaltet sich Ihr Alltag nach der Transplantation?

 

Inka L’hoest: Eigentlich relativ normal – wenn man in Corona-Zeiten überhaupt von Normalität sprechen kann. Aufstehen, dann die Kinder für die Schule fertig machen, frühstücken, die Kinder zur Schule bzw. zum Kindergarten fahren. Eigentlich kommt die neue Leber gar nicht vor. Klar, ich muss Medikamente nehmen und auf die Ernährung achten – mein Mann sagt immer „ist ja wie schwanger“: also keinen rohen Fisch, kein rohes Fleisch. Grapefruitsaft geht auch nicht, weil der den Medikamenten-Spiegel beeinflusst und Nebenwirkungen auslösen kann. So gut wie nie Alkohol trinken, keinen kalt geräucherten Lachs und keine Salami essen, nichts Fettiges. Das ist aber nicht schlimm. Man muss einfach abwägen und sich fragen: Wie wichtig ist mir das? Ich würde mich zum Beispiel riesig freuen, irgendwann wieder Matjes zu essen. Dann aber nur, wenn ich weiß, dass er ganz frisch aus dem Meer kommt. Natürlich mache ich nichts, was meine Leber gefährden würde. Meine Werte sind fast im Normbereich, nur ein bisschen drüber, aber das ist in Ordnung.

Inka L’hoest 10 Tage nach der 2. Transplantation: „Während dieser Zeit hat meine Familie viele Fotos gemacht. Ich habe etwa zwei Monate nach dem Krankenhausaufenthalt ein Fototagebuch daraus erstellt und Stichworte dazu notiert.“ (Foto: privat)

Lebensritter: Wie wirkt sich denn Corona auf Ihre Familie aus?

 

Inka L’hoest: Patrick, mein ältester Sohn, geht in die Schule. Sein Lehrer achtet besonders darauf, dass er sich nicht ansteckt. Wenn unsere Kinder draußen mit den Nachbarskindern spielen, müssen sie besonders vorsichtig sein. Mein Mann ist im Homeoffice. Ich bin Sonderpädagogin an einer
Grundschule, aktuell aber vom Präsenzunterricht befreit. Vor Corona habe ich ganz normal gearbeitet. Im Moment kümmere ich mich von zu Hause um den digitalen Bereich, zum Beispiel um den Schulserver und stehe dem Kollegium hinsichtlich sonderpädagogischer Fragestellungen beratend zur Seite.

Lebensritter: Gehen Sie raus?

 

Inka L’hoest: Ich übe das Amt der Schwerbehindertenvertretung aus. An zwei Tagen die Woche fahre ich in die Schule und nehme an den Teambesprechungen innerhalb des Kollegiums und an Sitzungen bezüglich der Belange der schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen teil. Einkaufen in einem großen Supermarkt oder einer Drogerie kommt für mich nicht infrage, das muss mein Mann machen. Kleine Läden wie Bäcker oder Apotheke, das geht. Man muss in der aktuellen Situation immer wieder betonen: Nicht nur die alten Menschen mit Vorerkrankung gehören zur Risikogruppe, es gibt noch viele andere, junge Menschen und auch uns Organtransplantierte. Rücksicht ist wichtig! Man kann selbst so vorsichtig sein wie nur möglich – das nützt aber nichts, wenn die anderen sich rücksichtslos verhalten. Das ist doch wie im Straßenverkehr: Nur wenn sich alle Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten, kann alles reibungslos laufen.

Inka L’hoest Weihnachten 2017: „Rücksicht ist wichtig! Man kann selbst so vorsichtig sein wie nur möglich – das nützt aber nichts, wenn die anderen sich rücksichtslos verhalten.“ (Foto: privat)

Lebensritter: Haben Sie Pläne?

 

Inka L’hoest: Ich möchte mindestens 80 Jahre alt werden, damit ich meine Kinder auf ihrem Lebensweg so lange wie möglich begleiten kann, damit ich sehen kann, wie sie und auch meine Enkelkinder groß werden. Ich bin eigentlich ganz optimistisch, aber es gibt immer wieder Momente, in denen ich mich frage, ob ich das noch erleben werde …

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?

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