Menschen

Meine Tür steht immer offen

Daniel Schrader ist Organspendekoordinator an der Uniklinik Düsseldorf. Davor war er für die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) tätig und hat in dieser Zeit circa 200 Spenden begleitet. Seine Ausbildung zur Pflegekraft hat er ebenfalls in Düsseldorf absolviert. Nun ist er quasi an seinen Ausgangspunkt zurückgekommen und hat nicht nur viel Erfahrung im Gepäck, sondern auch viele Pläne.

Lebensritter: Herr Schrader, in Ihrem beruflichen Leben nimmt das Thema Organspende einen großen Raum ein – woher stammt das Interesse? Gibt es eine persönliche Verbindung?

Daniel Schrader: Nein, einen persönlichen Fall gibt es nicht. Als ich 1994 hier in Düsseldorf an der Uniklinik meine Ausbildung absolviert habe, hatte ich eine Oberärztin, die sich sehr für Organspenden eingesetzt hat und sehr engagiert war. Sie war nicht nur für mich, sondern für uns alle ein Vorbild. Mich hat schon damals jeder Fall, der mit Organspende zu tun hatte, berührt und lange begleitet. Als Krankenpflegeschüler bin ich auch das erste Mal mit dem Thema direkt in Berührung gekommen. Ein junger Mann starb und es hat mich tief beeindruckt, wie aus einer traurigen Situation doch noch etwas Positives und Sinnstiftendes entstanden ist. Das war sehr tröstlich – aber auch sehr schwer. Der Patient ist ja an Maschinen angeschlossen, er wird beatmet und sieht noch so lebendig aus. Dass dieser Mensch tot ist, das muss man im Kopf erst mal zusammenkriegen. Und genau das ist für die Angehörigen oft auch so schwer: Der Hirntod wurde zwar festgestellt, aber der Tote sieht nicht tot aus.

Lebensritter: Sie sind an der Uniklinik Düsseldorf Organspendekoordinator – seit wann?

Daniel Schrader: Seit Anfang des Jahres. Das neue Transplantationsgesetz, das am 1. April 2019 in Kraft getreten ist, hat meine Stelle quasi geschaffen. Jetzt muss nämlich jedes Entnahmekrankenhaus, das über mehr als eine Intensivstation verfügt, für jede Station mindestens einen Transplantationsbeauftragten stellen. Vorher waren die Transplantationsbeauftragten meist Oberärzte, die gleichzeitig noch ihren Job machen mussten, also eine Station leiten und operieren. Ich hingegen kann mich voll und ganz auf meine Aufgabe konzentrieren. Außerdem bin ich immer vor Ort, anders als die Koordinatoren von der DSO, die ja nicht ständig im Krankenhaus sein können. [Anmerkung Lebensritter: Die DSO koordiniert deutschlandweit die postmortale Organspende. Sie organisiert den Organspendeprozess ab der Meldung eines möglichen Spenders durch ein Krankenhaus bis zur Übergabe der Organe an die Transplantationszentren.] Meine Tür steht jedem immer offen. Mit meinem Büro bin ich mitten im Geschehen, es liegt direkt in einem der Hauptflure hier im Gebäude. Und es kommen nicht nur Ärzte und Schwestern vorbei. Letztens stand eine Frau mit Pralinen im Türrahmen – sie hat sich bei mir bedankt, weil ihr Mann aufgrund einer Herztransplantation überlebt hat. Als ich ihr sagte, ich sei im Fall Ihres Mannes nicht beteiligt gewesen, sagte sie: „Doch, aber Menschen wie Sie haben es möglich gemacht.“ Deshalb finde ich den Begriff „Organspendekoordinator“ auch viel besser als „Transplantationsbeauftragter“.

„Natürlich hätte ich die Widerspruchslösung begrüßt, also eine Lösung, bei der man explizit der Organspende widersprechen muss.“

Lebensritter: Warum, was machen Sie denn konkret?

Daniel Schrader: Ich bin die Schnittstelle zwischen dem Krankenhaus-Vorstand, dem medizinischen Personal auf den Normal- und Intensivstationen und den Patienten und Angehörigen. Mit der eigentlichen Transplantation habe ich also nichts zu tun. Ich koordiniere, ich erstelle die regelnden Dinge. Meine Aufgabe ist es unter anderem, Organspender auf den Intensivstationen zu erkennen und die DSO zu informieren. Morgens schaue ich als Erstes, wer neu aufgenommen wurde, welche Entwicklungen es bei den Patienten gibt, wie die CT-Aufnahmen aussehen und noch vieles mehr. Ich prüfe auch OP-Kapazitäten und ordne Laboruntersuchungen an. Zu meinen Aufgaben gehört es ebenso, alles zu dokumentieren. Es gibt unterschiedliche Vordrucke, in denen alle Schritte von der Diagnose Hirntod über die Spende bis zur Transplantation aufgeführt sind – einen ganzen Ordner voll. Es ist gleichzeitig ein wichtiges Instrument für die Angehörigen – diese sehen, dass wir hier nicht irgendetwas machen, sondern uns ganz genau an bestimmte Vorgaben, Vorgehensweisen und Gesetze halten. Das gibt Sicherheit. Organspende ist niemals Willkür. Organspende ist viel Arbeit, viel Papierkram und viel Emotion. Bei alldem sehe ich mich aber nicht als „Schreibtischtäter“, sondern als Teil eines Teams, das sich um diese anspruchsvolle Aufgabe kümmert.

Lebensritter: Was gehört noch zu Ihren Aufgaben?

 

Daniel Schrader: Ich bin dafür zuständig, das Personal hier im Krankenhaus für das Thema Organspende zu sensibilisieren. Zum Beispiel durch Fortbildungen. Ich habe mittlerweile eine Fortbildungsreihe eingerichtet. Im Klinikalltag bleibt ja nicht viel Zeit, da kann ich keine 4-Stunden-Schulung durchführen. Deshalb biete ich kurze Blöcke à 30 Minuten zu bestimmten Themen an, zum Beispiel Hirntoddiagnostik, Gesprächsführung mit Angehörigen oder auch Ablauf der Entnahme-Operation. Die Schulungen werden sehr positiv aufgenommen, es gibt mittlerweile schon Nachfragen nach weiteren Veranstaltungen.

Lebensritter: Sind Sie eigentlich auch in die Gespräche mit den Angehörigen eingebunden?

 

Daniel Schrader: Ja, das gehört auch zu meinen Aufgaben. Allerdings bin ich meistens nicht bei den Erstgesprächen dabei. Man muss sehr behutsam sein, denn die Familie hatte ja bis zum Tod des Patienten in erster Linie mit den Ärzten und Pflegekräften zu tun. Da gibt es schon eine Art Beziehung. Wenn ich dann als Fremder dazukomme, kann das schwierig werden – das überfordert viele. Deshalb sind diese Gespräche Aufgabe des Ärzteteams. Ich komme dann beim zweiten Termin hinzu, nach ein paar Stunden oder am nächsten Tag. Die Situation auf der Intensivstation ist für die Angehörigen extrem belastend: Sie bekommen mitgeteilt, dass ein Angehöriger tot ist, schlimmstenfalls hat keiner damit gerechnet. Sie müssen verstehen, dass er tot ist, auch wenn es nicht so aussieht. Die meisten können das nicht begreifen, nicht erfassen, sie sind total geschockt – und dann kommt auch noch die Frage nach der Organspende. In dieser Situation zu überlegen „Was hätte mein Vater oder meine Mutter gewollt?“, „Wie hätte mein Mann oder meine Frau sich entschieden?“, das ist hart. Deshalb ist es so wichtig, sich frühzeitig Gedanken über die Organspende zu machen, in der Familie darüber zu sprechen und auch anderen gegenüber, zum Beispiel engen Freunden, deutlich zu machen, was man will. Wenn Angehörige sich aus Unwissenheit gegen eine Organspende aussprechen, ist das traurig, weil eine wertvolle Überlebenschance für andere Menschen vergeben wird.

„Wenn Angehörige sich aus Unwissenheit gegen eine Organspende aussprechen, ist das traurig, weil eine wertvolle Überlebenschance für andere Menschen vergeben wird.“

Lebensritter: Hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit beeinflusst?

 

Daniel Schrader: Natürlich, die strengen, aber notwendigen Regelungen haben vieles verhindert und mir bei vielen Sachen einen „Strich durch die Rechnung“ gemacht. Der DSO-Kongress beispielsweise ist ausgefallen. Fortbildungsmaßnahmen sind jetzt schwierig – durch die Corona-Hygiene-Regeln können keine 20 Leute zusammen in einem Raum sitzen, da müssen wir andere Möglichkeiten finden. Vieles läuft aber auch weiter: Trotz Covid-19 transplantieren wir in der Klinik, Operationen finden größtenteils wie geplant statt.

 

Lebensritter: Welche Pläne haben Sie?

 

Daniel Schrader: Man muss ja jetzt erst mal sehen, wie es mit Corona weitergeht und was überhaupt möglich ist. Generell möchte ich den Austausch mit den Transplantationsbeauftragten an anderen Krankenhäusern ausweiten, das finde ich sehr wichtig. Ich will das Thema Organspende aber nicht nur intern, sondern auch extern kommunizieren, bei Veranstaltungen, vielleicht auch in der Stadtverwaltung und in Schulen – es gibt viele Möglichkeiten. Eine ist zum Beispiel die Fotowanderausstellung „Leben schenken“. Sehr eindrucksvoll! Hier werden Menschen gezeigt, die persönlich von der Organspende betroffen sind: Angehörige, Menschen mit einem Spenderorgan und Transplantationsmediziner. Auch Interviews mit Zeitungen oder Fernsehsendern sind sinnvoll, um aufzuklären. Leider ist die Darstellung in den Medien nicht immer differenziert, da wird gerade beim Thema Organspende vieles über einen Kamm geschoren, vieles nur schwarz oder weiß dargestellt. Da möchte ich gegenhalten und informieren.

Lebensritter: Ist es von Vorteil für Sie als Organspendekoordinator, dass Sie in der Intensivmedizin und bei der DSO gearbeitet haben?

 

Daniel Schrader: Ja, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, was bei den einzelnen Stellen benötigt wird. Und ebenso weiß ich, was fehlt oder was man optimieren kann. Mein Ziel ist es auch, mehr mögliche Organspender zu identifizieren. Denn anders als allgemein angenommen, sind dies nicht nur die typischen Opfer eines Verkehrsunfalls. Viel häufiger sind es Schlaganfälle oder Hirnblutungen, die zum Hirntod, also zum Tod, eines Menschen führen. Das ist vielen gar nicht so bewusst.

 

Lebensritter: Wie ist Ihre Einschätzung – bringt das neue Transplantationsgesetz etwas?

 

Daniel Schrader: Auf jeden Fall, allein schon das es so etwas wie meine Stelle gibt! Ich habe einen Gesetzesauftrag, habe Zeit, das Personal hier im Krankenhaus für Organspenden zu sensibilisieren, kann neue Strukturen einführen und versuchen, Abläufe besser zu gestalten. Natürlich hätte ich die Widerspruchslösung begrüßt, also eine Lösung, bei der man explizit der Organspende widersprechen muss. Dadurch wäre den Angehörigen viel Druck genommen worden. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist nämlich eigentlich sehr hoch!

„Meine Tür steht jedem immer offen. Mit meinem Büro bin ich mitten im Geschehen, es liegt direkt in einem der Hauptflure hier im Gebäude.“

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