Menschen

Jeder sollte eine Entscheidung treffen!


Dana Brinker, Katharina Kronsbein, Marius Mählen, Melanie Pauls, Bianca Rappert, Charlotte Rüther, Leonie Schubert, Kim Stahlberg, Pia Stegt, David Steike, Luise Storck, Jayamekalaa Ganeshalingam, Nico Nowack, Vina Zielonka – sie alle stehen hinter SOS, der Studenteninitiative OrganSpende. Die Gruppe der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen über das Thema Organspende zu informieren. Die Mitglieder wollen mit anderen ins Gespräch kommen, mit Vorurteilen aufräumen und gemeinsam diskutieren. Wie sie das erreichen, was sie bewegt und warum sie sich engagieren, darüber haben wir mit Melanie Pauls, Pia Stegt, Kim Stahlberg und Luise Storck gesprochen.

Luise Storck: „Wenn man sich als Mediziner mit dem menschlichen Körper beschäftigt, bekommt man ganz automatisch einen anderen Blick auf die Problematik.“

Lebensritter:

Woher kommt das Interesse gerade am Thema Organspende?

 

Luise Storck:

Bis auf Pia Stegt sind wir ja alle Medizin-Studenten in unterschiedlichen Semestern. Wenn man sich als Mediziner mit dem menschlichen Körper beschäftigt, bekommt man ganz automatisch einen anderen Blick auf die Problematik.

Pia Stegt: „Anfang 2015 habe ich eine neue Leber bekommen. Nachdem alles gut verlaufen ist, war mir klar, dass ich mich auf jeden Fall in diesem Bereich engagieren wollte.“

Pia Stegt:

Ich bin die einzige Nicht-Medizinerin in der Runde, ich studiere Deutsch und Französisch auf Lehramt. Mein Interesse ist ganz persönlicher Natur – Anfang 2015 habe ich eine neue Leber bekommen. Nachdem alles gut verlaufen ist, war mir klar, dass ich mich auf jeden Fall in diesem Bereich engagieren wollte. Übers Internet bin ich dann auf SOS gestoßen und dachte – das passt.

 

Lebensritter:

Wie sieht denn die Arbeit der Initiative konkret aus?

 

Melanie Pauls:

In erster Linie sind wir in Schulen unterwegs. Wir halten Vorträge zum Thema Organspende in den Klassen 9 bis 13. In vier Stunden versuchen wir so umfassend wie nur möglich über alle Aspekte zu informieren, also Hirntod und Recht, Verteilung, Ablauf der Organspende, Ethik und Religion. Wie binden die Schüler in die Präsentation mit ein, setzen auf interaktive Elemente, lassen zum Beispiel mit TED-Sendern über bestimmte Fragen abstimmen. In der Regel gehen wir mit drei bis vier Leuten in die Klassen. Wichtig ist uns dabei, dass auch ein Transplantierter dabei ist.

 

Pia Stegt:

Das bin ich dann, wir haben aber auch noch andere, die sich zur Verfügung stellen. Das ist wichtig für die Schüler, wir sind dann sozusagen die besten Beispiele für gelungene Transplantationen. Kinder und Jugendliche gehen noch recht unbefangen mit dem Thema um, sie stellen Fragen, die ihnen wichtig sind, ohne Sorge, ob sich das „gehört“ oder nicht. Einmal wurde ich gefragt, ob ich mich jetzt männlicher fühle, weil ich doch die Leber eines männlichen Spenders habe…

Melanie Pauls: „Die meisten Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren sind gegenüber Organspende und Organtransplantation positiv eingestellt, aber nur wenige haben einen Organspendeausweis.“

Lebensritter:

Wie viele Schulbesuche hat die Initiative schon durchgeführt?

 

Luise Storck:

Wir versuchen zwei bis drei Schulbesuche pro Semester zu realisieren, haben also inzwischen so etwa 80 Präsentationen gehalten.

 

Melanie Pauls:

Das ist nicht immer ganz einfach, weil die Veranstaltungen ja während der normalen Unterrichtszeiten stattfinden – dann, wenn auch wir Seminare haben. Für uns heißt das, verschieben oder ausfallen lassen. Wir sind natürlich dabei, neue Mitglieder für die Initiative zu gewinnen. Wir halten zum Beispiel hier in der Uni-Klinik Vorlesungen in anderen Fachbereichen wie der Bio-Wissenschaft oder haben auch schon mit einem Waffel-Verkaufsstand hier vor der Klinik auf das Thema aufmerksam gemacht.

 

Pia Stegt:

Wir machen das ja alles ehrenamtlich und spätestens wenn das Studium beendet ist, das praktische Jahr oder ein fester Job beginnt, gibt’s ein Zeitproblem. Deshalb brauchen wir dringend neue Mitstreiter. Es sind ja nicht nur die vier Stunden Vortrag – die Präsentation wird vor- und nachbereitet. Es gibt Feedbackzettel, auf welche die Jugendlichen noch in der Schule ihre Anmerkungen schreiben. Und dann haben wir noch Evaluationsbögen, die zwei bis drei Wochen nach dem Besuch ausgefüllt und von uns ausgewertet werden. Wir werden zum Beispiel dem Thema „Transplantation“ einen größeren Raum geben, erklären, was mit dem Spenderorgan passiert, wie es eingesetzt wird und welche Medikamente der Transplantierte einnehmen muss – die Auswertung hat gezeigt, dass die Schüler über diesen Bereich mehr wissen möchten.

 

Lebensritter:

Warum ist eine Aufklärung so wichtig?

 

Melanie Pauls:

Die meisten Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren sind gegenüber Organspende und Organtransplantation positiv eingestellt, aber nur 11% haben einen Organspende-Ausweis. Nicht falsch verstehen – wir gehen nicht in die Schulen, um die Schüler zu überreden, Organspender zu werden. Unser Ziel ist eine ergebnisoffene Aufklärung! Auch wenn auf dem Ausweis „Nein“ angekreuzt wird, ist das für uns okay. Wir möchten erreichen, dass sich jeder eine eigene Meinung zu dem Thema bildet, dass er genügend Fakten und Informationen hat, um eine Entscheidung in welche Richtung auch immer zu treffen. Unglaublich viele lebensrettende Organe gehen verloren, einfach weil man sich keine Gedanken macht. Viele wissen auch gar nicht, dass man ab 14 Jahren einer Organentnahme widersprechen und ab dem 16. Lebensjahr zustimmen kann.

Kim Stahlberg: „Viele Menschen wollen keine Entscheidung treffen, sie möchten das lieber ihren Angehörigen überlassen. Aber das ist für die Familienmitglieder unglaublich schwer, besonders dann, wenn man vorher nicht offen über das Thema gesprochen hat.“

Luise Storck:

Wir möchten erreichen, dass die Schüler das Thema auch mit nach Hause nehmen und es mit ihren Eltern diskutieren. Für uns ist es wichtig, dass junge Menschen sich eine Meinung bilden können, gerade bei einem so komplexen Thema, bei dem ethische, medizinische und religiöse Aspekte eine Rolle spielen. Wie gesagt – man soll über Organspende nachdenken, sich damit beschäftigen. Schließlich geht es ja auch nicht nur um das Kreuzchen auf dem Organspende-Ausweis. Es ist auch eine Sache der Verantwortung gegenüber seinen Angehörigen, eine Entscheidung zu treffen.

 

Kim Stahlberg:

Viele Menschen wollen keine Entscheidung treffen, sie möchten das lieber ihren Angehörigen überlassen. Aber das ist für die Familienmitglieder unglaublich schwer, besonders dann, wenn man vorher nicht offen über das Thema gesprochen hat. Zumal man sich ja in einer Ausnahmensituation befindet

 

Melanie Pauls:

Man kann von einem 16-jährigen erwarten, dass er eine Entscheidung trifft und seine Eigenverantwortung wahrnimmt. Die Verantwortung anderen aufzubürden, ist meiner Meinung nach nicht richtig. Die Situation ist schon schlimm genug, wenn die Angehörigen am Bett stehen, mit den Nerven am Ende sind und nicht wissen, wie sie entscheiden sollen.

 

Lebensritter:

Wovor haben die Menschen denn am meisten Angst, wenn es um das Thema Organspende geht? Ist es der eigene Tod?

 

Pia Stegt:

Es ist in erster Linie die Befürchtung, für Hirntod erklärt zu werden, obwohl man es nicht ist. Oder dass man ganz bewusst nicht behandelt wird, um schneller für Hirntod erklärt zu werden. Diese Ängste muss man ernst nehmen, deshalb beleuchten wir in den Schulen das Thema Hirntod auch sehr ausführlich, erklären, welche Schritte und Untersuchungen notwendig sind. Die Diagnose Hirntod wird nicht innerhalb von fünf Minuten gestellt!

 

Kim Stahlberg:

Bei der Knochenmarkspende zum Beispiel wird für 90% der Betroffenen ein Spender gefunden. Bei Organen herrscht ein absoluter Mangel. Das Knochenmark kann man lebenden Menschen entnehmen, über Knochenmarkspenden spricht man. Das Thema Organspende wird nicht so öffentlich und nicht so offen diskutiert, vielleicht weil der Tod eine Rolle spielt. Es gibt zwar Spenderorgane von Lebenden, aber in der Regel kommen die Spenderorgane von einem Toten. Das heißt im Klartext: ein Mensch muss sterben.

 

Luise Storck:

Ja, das Thema Tod schwingt mit. Über Organspende wird selten gesprochen und wenn, dann meist leider nur über die Skandale. Über die Wartelisten spricht auch kaum jemand, selbst die Betroffenen schweigen meist über ihre Krankheit.

 

Pia Stegt:

Deshalb ist es so wichtig, über das Thema zu informieren. Nur mit Aufklärung können wir jemand befähigen, eine Entscheidung zu treffen. Und eine öffentliche Diskussion ohne Polemik führen.

Die Studenteninitiative OrganSpende der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wurde 2002 gegründet und gehört zu den ersten Gruppen, die sich aktiv für die medizinische Aufklärung der Organspende in Schulen einsetzen. Seit 2015 engagiert sich SOS auch in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland im Projekt „Aufklärung Organspende“, um sich mit studentischen Gruppen aus anderen Städten auszutauschen und gemeinsam neue Projekte zu entwickeln.


Weitere Informationen über die Initiative bekommen Sie auf der Webseite der Studenteninitiative Münster oder über die Facebookseite SOS – Studenteninitiative Münster.

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?



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