Menschen

Je öfter man darüber spricht, desto einfacher wird es!

Es begann mit Halsschmerzen und endete mit einer Transplantation. Heute lebt Christian Dobritz mit einem Spenderherzen. Er möchte mit seiner Geschichte andere Menschen auf Organspende aufmerksam machen und über das Thema informieren. Wir haben ihn in Beckum besucht und mit ihm über seine Herzensangelegenheit gesprochen.

Lebensritter: Herr Dobritz, hätten Sie je gedacht, dass Sie einmal eine Organspende benötigen?

 

Christian Dobritz: Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil – ich war immer gesund, keine Erkältung und nichts. Im Jahr 2013 haben wir hier das Haus gekauft, haben es selbst renoviert und umgebaut, dreimal die Woche war ich schwimmen, jeden Tag arbeiten.

Lebensritter: Wie kam es zu Ihrem Herzleiden?

 

Christian Dobritz: Ich habe mit einem Mal Halsschmerzen bekommen, die nicht weggehen wollten. Vier Wochen habe ich mich damit rumgequält, bevor ich zum Arzt gegangen bin – man denkt ja immer, das geht von alleine wieder weg. Ich war total schlapp, selbst der Weg von der Haustür zum Auto hat mich geschafft. Tja, die Diagnose lautete dann Herzmuskelentzündung.

Lebensritter: Aber es war noch nicht die Rede von Transplantation, oder? 
 

Christian Dobritz: Nein. Ich wurde behandelt, konnte nach einem halben Jahr wieder arbeiten und habe mein Leben weitergelebt. 2016 hat mich dann die nächste Herzmuskelentzündung erwischt. Der Tag war eigentlich ganz normal – meine Frau und ich lagen abends auf der Couch, sie hatte den Kopf an meiner Brust und meinte noch: „Warum ist denn dein Puls so schnell?“ Wir haben uns aber nichts weiter dabei gedacht. Am nächsten Tag sind wir wie geplant für ein Wochenende nach Hamburg gefahren. Zurück zu Hause hat es mich dann umgehauen – mein Puls war auf 165 [Anmerkung Lebensritter: Der Ruhepuls liegt normalerweise bei 50 bis 70 Schlägen pro Minute], das fiel schon fast in die Kategorie Vorhofflimmern. Trotzdem sind wir noch zu Fuß in die Notaufnahme. So glimpflich wie beim ersten Mal lief es diesmal aber nicht ab.

Lebensritter: Was war denn diesmal anders?

 

Christian Dobritz: Ich bin nicht so schnell wieder gesund geworden und konnte nicht mehr so wie früher. Meinen Job als Schichtleiter zum Beispiel musste ich aufgeben und einen Bürojob annehmen. Und das ist schon ein Unterschied: Als Schichtleiter habe ich täglich bis zu 15.000 Schritte gemacht, am Schreibtisch sah das natürlich ganz anders aus. Ich habe auch einen Schrittmacher mit Defi bekommen [Anmerkung Lebensritter: Ein Schrittmacher bringt die beiden Herzkammern wieder in Einklang, der Defibrillator gibt im Notfall einen Stromstoß ab und verhindert so einen plötzlichen Herztod]. Und der hat auch öfter mal ausgelöst! Das war immer furchtbar. Das erste Mal saß ich im Wartebereich im Krankenhaus. Ich habe geschrien und bin mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen, als der angesprungen ist. Man spürt den Schlag überall, in den Haarwurzeln, in den Fingerspitzen, in den Zehen. Da fasse ich lieber ein paarmal hintereinander in die Steckdose, das ist bei weitem nicht so schlimm. 2017 hat der Defi bei mir insgesamt 10-mal ausgelöst. Meine Herzleistung betrug noch 40 Prozent.

„2017 hat der Defi bei mir insgesamt 10-mal ausgelöst. Meine Herzleistung betrug noch 40 Prozent.“

Lebensritter: Kann man mit einer so niedrigen Herzleistung noch ein normales Leben führen?

 

Christian Dobritz: Ja, mit Einschränkungen geht das. Aber 2019 ging’s mir immer schlechter. Ich konnte mich nicht mehr bücken, um zum Beispiel die Spülmaschine auszuräumen, konnte nicht mehr mit meiner Nichte spielen, es ging gar nichts mehr. Selbst den Weg vom Firmenparkplatz bis zu meinem Schreibtisch habe ich nur noch mit Pausen geschafft. Ich musste dann ins Krankenhaus. Der Arzt fragte mich nach der Untersuchung, ob ich wisse, wie schlecht meine Herzleistung sei. Ich sagte ja, so 35 bis 40 Prozent. „Ne, ne“, sagte er, „Ihre Herzleistung ist extrem schlecht, sie liegt nur noch bei 15 Prozent!“ Ich bin dann nach Bad Oeynhausen in die Klinik gekommen. Dort habe ich von April bis Juni auf ein neues Herz gewartet. Das erste Angebot eines Spenderorgans wurde abgelehnt, weil das Herz nicht passend war.

Lebensritter: Was geht da in einem vor? Sagt man nicht „Egal, ich will das Herz auf jeden Fall“?

 

Christian Dobritz: Nein, man vertraut den Ärzten ja. Die sind im Team unterwegs und machen schon das Richtige, da hatte ich nie Zweifel. Grundsätzlich haben mir die Ärzte in der ganzen Zeit immer alles sehr gut erklärt, ich habe mich nie alleingelassen gefühlt.

Lebensritter: Wann haben Sie Ihr neues Herz bekommen? 

 

Christian Dobritz: Am 14. Juni 2019. Der Transplantationsbeauftragte kam um 5.15 Uhr in mein Zimmer und lächelte übers ganze Gesicht. Da wusste ich, dass ich ein neues Herz bekomme. Zumal – so früh kommt ja sonst keiner ins Zimmer! Die Transplantation hat dann auch ganz gut geklappt. Dass ich ein neues Herz habe, wurde mir zum ersten Mal bewusst, als der Schrittmacher abgestellt wurde und mein Herz ganz alleine schlug. Das war ein unglaubliches Gefühl. Ich habe nicht darüber nachgedacht, von wem das Herz kommt. Ich wusste nur: Der Spender hat etwas Gutes getan, etwas, das mir das Leben gerettet hat.

„Ich wusste nur: Der Spender hat etwas Gutes getan, etwas, das mir das Leben gerettet hat.“

Lebensritter: Wie geht es Ihnen heute? 

 

Christian Dobritz: Sehr gut. Jetzt gerade habe ich zwar mit einer Abstoßungsreaktion zu kämpfen, aber das ist relativ „normal“, so etwas passiert. Ich bekomme Cortison, das kriegen wir schon in den Griff. Ansonsten bin ich regelmäßig draußen auf der Gassi-Runde mit unserer kleinen Hathor – das ist für mich wie eine Therapie, damit ich auch körperlich wieder fit werde [Anmerkung Lebensritter: Hathor ist ein bezauberndes, knapp 20 Wochen altes Boxer-Mädchen]. Unsere 75 Orchideen mussten wir leider abgeben, ich muss ja auf mein Immunsystem achten und da sind Pflanzen wegen der Gefahr von Schimmelpilzen ein Risiko. Wir haben die Orchideen an unsere Nachbarn verschenkt, sie stehen jetzt überall in den Fenstern, die ganze Straße hoch.

„Ansonsten bin ich regelmäßig draußen auf der Gassi-Runde mit unserer kleinen Hathor – das ist für mich wie eine Therapie, damit ich auch körperlich wieder fit werde.“

Lebensritter: Wie hat Ihre Frau die Zeit erlebt?

 

Christian Dobritz: Ich bin sehr stolz auf meine Frau, dass sie das alles so geschafft hat. Sie ist täglich zu mir ins Krankenhaus gefahren, hat mich aufgebaut und war immer an meiner Seite. Dass sie abends, wenn sie wieder zu Hause war, nur geweint hat, habe ich erst später erfahren. Ich kann wirklich dankbar sein – nicht nur meiner Frau. Auch ihrem Arbeitgeber, der ihr, ohne mit der Wimper zu zucken, Urlaub gegeben hat. Den Freunden und Nachbarn hier, die uns unterstützt haben. Das ist schon ein tolles Gefühl, wenn man nicht alleine ist.

Lebensritter: Warum gehen Sie an die Öffentlichkeit?

 

Christian Dobritz: Ich möchte meine Geschichte weitertragen und hoffe, dass sich mehr Menschen einen Organspendeausweis zulegen oder zumindest mal über das Thema nachdenken. Ich habe schon in einem Sportverein gesprochen, das war ein voller Erfolg – ich hatte gar nicht genug Ausweise dabei, die sind alle ruckzuck weggegangen. Ich will jetzt auch versuchen, in die Schulen zu kommen und dort von meinen Erfahrungen zu berichten. Ich habe immer den Eindruck, dass man bei Jüngeren mehr erreichen kann als bei den Älteren. Da kommt dann oft so das Argument „Ach, mit meinen alten Organen können die doch eh nix anfangen“ – dabei stimmt das nicht.

„Ich möchte meine Geschichte weitertragen und hoffe, dass sich mehr Menschen einen Organspendeausweis zulegen oder zumindest mal über das Thema nachdenken.“

Lebensritter: Was glauben Sie, warum beschäftigen die Menschen sich nicht mit dem Thema Organspende?

 

Christian Dobritz: Ich denke, man möchte nicht über den Tod reden oder darüber nachdenken. Ich habe ein anderes Verhältnis zum Tod als die meisten, weil ich schon sehr früh mit dem Thema konfrontiert wurde. Als ich 15 Jahre alt war, ist meine Mutter ertrunken. Anfangs konnte ich nicht darüber sprechen. Aber nach und nach habe ich mich geöffnet und gemerkt: Je öfter man darüber spricht, desto einfacher wird es.

Lebensritter: Die Entscheidung im Bundestag ist gegen die Widerspruchslösung ausgefallen – wie sehen Sie das?

 

Christian Dobritz: Ich bin traurig und wütend zugleich. Ich denke, unsere Politiker sind so weit weg von dem Thema, dass sie das gar nicht richtig einschätzen können. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe, in der wir uns austauschen und auf dem Laufenden halten. Es gab eine Frau, die sehr lange auf ein Organ gewartet und es leider nicht geschafft hat. Ich würde mir wünschen, dass die Politiker, die gegen den Entwurf gestimmt haben, zu der Familie fahren und den Angehörigen erklären, warum sie gegen die Widerspruchslösung gestimmt haben! Aber auch alle anderen sollten sich Gedanken machen. Kaum einem ist bewusst, dass wir, wenn wir in einem Land Urlaub machen, in dem die Widerspruchslösung gilt, also Spanien zum Beispiel, dort automatisch Organspender sind, wenn wir nicht einen Ausweis bei uns tragen, in dem „Nein“ angekreuzt ist. Organspende muss Thema bleiben, es muss in der Presse vertreten sein, es gehört auf den Stundenplan in Schulen. Nur so können wir ein anderes Bewusstsein schaffen.

„Ich würde mir wünschen, dass die Politiker, die gegen den Entwurf gestimmt haben, zu der Familie fahren und den Angehörigen erklären, warum sie gegen die Widerspruchslösung gestimmt haben!“

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?

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