Menschen

Ich habe schon zweimal an die Himmelspforte geklopft …

„… aber bisher wollte mich da oben keiner haben. Vielleicht habe ich ja hier noch eine Aufgabe zu erledigen“, sagt René Krause. Wir haben den 53-Jährigen in seinem wunderschönen alten Haus in Bad Sassendorf getroffen und mit ihm über die zurückliegenden Schicksalsschläge gesprochen und die neuen Aufgaben, die noch vor ihm liegen.

Lebensritter: Herr Krause, Sie sagen selber, dass Sie dem Tode zweimal sehr nahe waren – wie kam es dazu?

 

René Krause: Wo fange ich an … am besten ganz vorn! Ich war schon immer ein sehr sportlicher Mensch, fünfmal die Woche habe ich trainiert. Ich hatte einen Job, eine Familie, also alles ganz normal. Dann habe ich plötzlich bemerkt, dass mir die Haare ausfielen. Die Nägel brachen ab, Wasser sammelte sich in den Beinen. Ich bin dann natürlich zum Arzt gegangen. Die Diagnose lautete nephrotisches Syndrom – alle meine Beschwerden kamen durch die Nieren. Die Aussichten waren nicht toll: Aufgrund der Störung der Nierenfunktion würde ich spätestens in vier bis fünf Jahren zur Dialyse müssen. Ich bin dann nach Düsseldorf an die Uniklinik gefahren und habe mir mal live angesehen, wie das mit der Dialyse so funktioniert – und fand das ganz furchtbar. Aber das lag ja für mich noch in der Zukunft. Ich habe erst mal Medikamente bekommen, die die Symptome etwas gelindert haben. Aus beruflichen Gründen stand ein Umzug in die Schweiz an und ich dachte noch: Wer weiß, vielleicht tut die Höhenluft sogar gut? Aber das war leider nicht so.

„Dann habe ich plötzlich bemerkt, dass mir die Haare ausfielen. Die Nägel brachen ab, Wasser sammelte sich in den Beinen. Ich bin dann natürlich zum Arzt gegangen. Die Diagnose lautete nephrotisches Syndrom – alle meine Beschwerden kamen durch die Nieren.“

Lebensritter: Was ist passiert?

 

René Krause: In der Schweiz bin ich noch mal zum Arzt gegangen – auch ein bisschen mit der Hoffnung, dass er vielleicht eine andere Diagnose stellt. Aber er hat sie leider bestätigt. Als die Dialyse dann anstand, habe ich mich für die sogenannte Bauchfell-Dialyse entschieden, eine schonendere Variante der künstlichen Blutwäsche. Dabei wird das Bauchfell als körpereigene Filtermembran genutzt. Man lässt die Dialyselösung in die Bauchhöhle fließen und die nimmt die giftigen Stoffwechselprodukte auf. Das Gute ist, das funktioniert ohne ärztliche Hilfe zu Hause. Ich habe es immer nachts gemacht, wenn ich eh geschlafen habe. Zwei Jahre lang. Es hat auch gut geklappt, aber eines Tages habe ich auf dem Weg zur Arbeit sehr starke Bauchschmerzen bekommen. Ich bin zu meinem Arzt und der hat mich direkt ins Krankenhaus geschickt. Es eilt, sagte er. Ich kam sofort in den OP. Ich hatte mir eine Sepsis [Anm. Lebensritter: Blutvergiftung] eingefangen, es war echt knapp. Ich wurde in ein künstliches Koma versetzt und nur mit Mühe zurückgeholt.

Lebensritter: Wie ging es dann weiter?

 

René Krause: Danach bin ich erst mal nach Gelsenkirchen zu meinen Eltern gefahren und habe mich dort sechs Wochen erholt. Dann bin ich wieder zurück in die Schweiz und habe dort die normale Dialyse gemacht – und das war gar nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte. Vier Stunden, dreimal die Woche und ich hatte einen herrlichen Ausblick auf einen Berg direkt vor dem Fenster … 2010 bin ich wieder nach Soest zurückgekehrt. Ich habe wie alle anderen gearbeitet, von 9 bis 18 Uhr. Dann bin ich ins Taxi, zur Dialyse ins Krankenhaus, kleines Abendessen, kurz in den Laptop geschaut, Tagesschau, schlafen, wecken, abschnallen, Taxi nach Hause und weiterschlafen.

Lebensritter: Das haben Sie bis zur Transplantation so fortgeführt?

 

René Krause: Ein Dauerzustand war das natürlich nicht. Stillstand ist Rückschritt, durch die Dialyse verbessert sich der Zustand ja nicht und die Gefäße leiden unter der Prozedur. 2013 habe ich starke Rückenschmerzen bekommen, aufgrund von Nierenbluten, wie sich dann herausstellte. Die Niere musste raus, aber die Blutungen hörten nicht auf. Und das war das zweite Mal, dass ich fast gestorben wäre. Meine Freundin war die ganze Zeit bei mir. Als Symbol der Hoffnung hat sie eine Kerze ins Fenster gestellt … und, was soll ich sagen, nach zwei Tagen hörten die Blutungen auf. In dieser Zeit habe ich geträumt, ich wäre mit einem Wohnmobil unterwegs. Und habe mich die ganze Zeit gewundert, was denn die Krankenschwestern in meinem Wohnmobil machen – verrückt. Verrückt ging es auch weiter. Die Niere, die man mir entfernt hat, ist zur Untersuchung eingeschickt worden – das niederschmetternde Ergebnis: Krebs! Mit Krebs wird man von der Transplantationsliste gestrichen! Einige Zeit später hat mir mein Nephrologe empfohlen, die Schilddrüse rauszunehmen und die andere Niere auch. Gesagt, getan. Und dann die Hiobsbotschaft – auch in der zweiten Niere wurden Krebszellen gefunden. Also wieder runter von der Liste. Zum Glück war der Krebs im Anfangsstadium und die Ärzte-Kommission hat nach einer Beratung zugestimmt, dass ich kurzfristig wieder auf die Liste draufkomme.

„Als Symbol der Hoffnung hat sie eine Kerze ins Fenster gestellt … und, was soll ich sagen, nach zwei Tagen hörten die Blutungen auf.“

Lebensritter: Und dann haben Sie eine Niere bekommen?

 

René Krause: Ja, in der Nacht vom 17. auf den 18. Mai 2016 kam um 23.30 Uhr der heiß ersehnte Anruf. Ich hatte schon geschlafen und bin durch das Klingeln wach geworden. Die Nachricht war dann auf dem Anrufbeantworter. Ich bin selbst nach Bochum in die Klinik gefahren und war auch ganz ruhig – wenn ich nicht mehr aufwache, dachte ich, dann vermache ich meinen Körper eben der Wissenschaft. Im Krankenhaus ging dann alles sehr schnell: Haube auf, Kleidchen an und ab in den OP. Von 5.30 Uhr bis mittags wurde ich operiert. Ich habe die eine Niere bekommen, ein weiterer Patient die andere. Bei dem hat die neue Niere auch sofort funktioniert, bei mir leider nicht. Das war aber kein großes Problem und die Ärzte sagten mir auch, dass so etwas manchmal vorkommt. Es war keine Abstoßung, sie wollte einfach nicht ihre Arbeit aufnehmen. Ich habe dann mit der Dialyse weitergemacht. Nach vier Wochen tat sich immer noch nichts, nach sechs Wochen auch noch nicht. Ich habe dann gefragt, ob ich nicht nach Hause kann. Zu Hause bin ich wie gewohnt zur Dialyse gegangen– und eine Woche später sprang meine neue Niere endlich an.

Lebensritter: Sie sind ein sehr optimistischer Mensch – waren Sie das vor Ihrer Transplantation auch schon?

 

René Krause: Ja, und ich glaube auch, dass mein Optimismus mir durch die ganze Zeit geholfen hat. Am Ende des Tunnels kommt immer ein Licht!

„Am Ende des Tunnels kommt immer ein Licht!“

Lebensritter: Hat sich Ihr Leben mit der neuen Niere verändert?

 

René Krause: Na klar, ich habe viel mehr Zeit. Ich kann mit Freunden etwas unternehmen – früher hing ich ja immer an der Dialyse. Und ich habe angefangen, mich zu engagieren. Im Internet bin ich auf den BDO, den Bundesverband der Organtransplantierten e. V., gestoßen und habe die Veranstaltungen „Kick fürs Leben“ in Essen besucht. Dort bin ich mit vielen Leuten ins Gespräch gekommen. Jetzt bin ich Regionalleiter für Dortmund und kann meine Erfahrung und mein Wissen einbringen und weitergeben. Ich selbst musste mich ja überall selber durchwursteln, die Ärzte haben ja kaum Zeit, einem was zu erklären. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass unglaublich viel auf einmal auf einen niederprasselt. Und keiner sagt einem, dass es zum Beispiel sinnvoll ist, frühzeitig einen Rentenantrag einzureichen oder auch mal eine Kur zu machen oder sich rechtzeitig um seine Finanzen zu kümmern – meist kann man ja nach einer Transplantation nicht mehr so viel arbeiten. Mittlerweile habe ich mir ein Netzwerk aus Anwälten, Kollegen aus der Finanzwelt und vielen weiteren Menschen aufgebaut. Dieses Netzwerk stelle ich auch anderen Betroffenen zur Verfügung. Als Nächstes wird erst mal die Selbsthilfegruppe Organtransplantierter gegründet. Und dann schauen wir mal weiter …

„Na klar, ich habe viel mehr Zeit. Ich kann mit Freunden etwas unternehmen – früher hing ich ja immer an der Dialyse.“

Lebensritter: Ist das womöglich Ihre Aufgabe?

 

René Krause: Vielleicht. Ich habe etwas geschenkt bekommen, und ich möchte gerne etwas zurückgeben. Also setze ich mich für andere ein, die noch nicht so weit sind wie ich und die noch einen langen Weg vor sich haben. Im Laufe der Jahre habe ich zahlreiche Menschen kennengelernt, habe viel gelernt und einiges erlebt – ich würde mich freuen, wenn andere davon profitieren können. Und es gibt noch viel zu tun. Bei uns in Deutschland werden viel zu wenige Organe entnommen. Es würde schon helfen, wenn stets ein Bett auf den Intensivstationen in den Krankenhäusern für mögliche Spender freigehalten würde. Oder wenn wir das österreichische Modell der Widerspruchslösung einführen würden, bei dem jeder Spender ist, solange er nicht aktiv widerspricht.

„Ich habe etwas geschenkt bekommen, und ich möchte gerne etwas zurückgeben. Also setze ich mich für andere ein, die noch nicht so weit sind wie ich und die noch einen langen Weg vor sich haben.“

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