Menschen

Ich bin glücklich und unheimlich dankbar! Soweit es mich betrifft.

Mario Rosa-Bian ist seit 28 Jahren nierentransplantiert und engagiert sich seit 30 Jahren im Selbsthilfeverein Niere NRW. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit dem Thema Organspende ergibt sich für ihn die Notwendigkeit, dass Selbsthilfe mehr sein muss, als sich über die Krankheit auszutauschen. Für ihn ist klar, dass es notwendig ist, öffentlich aktiv zu werden und Einfluss zu nehmen. Nur so können die grundsätzlichen Strukturen der Organspende in Deutschland geändert werden. Denn es ist nicht hinzunehmen, dass Betroffene so lange leiden müssen oder womöglich auf der Warteliste stehend versterben, bevor ein neues Organ für sie bereitsteht.

 

Wir haben ihn im Büro der Niere NRW in Bochum besucht, um zu erfahren, was er sich wünscht, wofür er kämpft und was er fordert.

 

Lebensritter: Was meinen Sie damit: „Soweit es mich betrifft“?

 

Mario Rosa-Bian: Ja, ganz einfach: Für andere ist es nicht unbedingt hilfreich, wenn ich glücklich und dankbar bin. Das allein führt nicht dazu, dass andere Betroffene auch transplantiert werden. Oder dass andere auch in den Genuss eines normalen Lebens kommen. Es macht mich traurig, dass wir diese langen Wartezeiten haben, dass Menschen auf der Warteliste sterben, dass das Leid immer länger wird. Um das zu ändern, engagiere ich mich und kämpfe für Änderungen, die notwendig sind.

 

Seit 30 Jahren gehen wir in Schulen, zu Gesundheitstagen in Firmen, in Behörden und erzählen unsere Geschichten, klären auf. Unter anderem eben auch, welche Regelung es in Deutschland gibt, welche Regelungen es in anderen Ländern gibt, dass man sich mit dem Thema auseinandersetzen sollte und so weiter. Aber seit 30 Jahren hat sich in Deutschland bezogen auf die Organspende nichts gebessert. Was ich damit sagen will, ist, dass Aufklärung allein nicht reicht, stattdessen müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das ein politisches Thema ist.

 

Lebensritter: Apropos, Ihre Geschichte, fangen wir ganz vorne an. Wie kam es zu Ihrer Nierenerkrankung?

 

Mario Rosa-Bian: Ich war vier Jahre alt, als meine Oma starb – wie ich später erfahren habe, an einer Nierenkrankheit. Ich war 14 Jahre alt, als meine Mutter starb, ebenfalls an einer Nierenkrankheit. Mein Vater hat uns drei Kinder dann zum Arzt geschleppt, weil er wissen wollte, wer von uns von dieser Erbkrankheit betroffen ist. Meine Schwestern waren bzw. sind nicht betroffen und bei mir wurde dann Zystennieren festgestellt, die Krankheit, die meine Mutter auch hatte. Meine Mutter starb, obwohl es schon die Möglichkeit der Dialyse gab, aber nicht vollumfänglich damals. Und als meine Oma gestorben ist, gab es noch überhaupt gar keine flächendeckende Dialyse. Insofern bin ich also glücklich, dass ich so spät geboren worden bin, dass ich mit dieser Krankheit jetzt noch leben kann.

 

Lebensritter: Wie ging es dann weiter? Wann gab es Probleme, die eine Transplantation erforderlich gemacht haben?

 

Mario Rosa-Bian: Vor meiner Transplantation habe ich zweieinhalb Jahre lang die Dialyse betrieben.

Lebensritter: Zweieinhalb Jahre – das ist ja eine recht kurze Zeit, oder?

 

Mario Rosa-Bian: Zu der damaligen Zeit betrug die durchschnittliche statistische Wartezeit auf eine Niere circa fünf Jahre. Ich habe nur zweieinhalb Jahre gewartet, habe also wieder mal Glück gehabt. Nicht nur das Glück der späten Geburt, sondern auch das Glück der frühen Niere.

„Ich habe nur zweieinhalb Jahre gewartet, habe also wieder mal Glück gehabt.“

 

Mittlerweile beträgt die statistische durchschnittliche Wartezeit in Deutschland 9 bis 10 Jahre. Das ist insofern wichtig, dass wir wissen, dass es in vielen, vielen anderen Ländern Europas erheblich kürzere Wartezeiten gibt als in Deutschland. Also Glück gehabt mit der Dialyse.

 

Lebensritter: Wie ging es Ihnen in dieser Zeit? Wie haben Sie es verkraftet zu erfahren, dass Sie eine Organtransplantation benötigen?

 

Mario Rosa-Bian: In dem Moment, als ich mit 37 Jahren an die Dialyse kam, fiel ich in ein tiefes Loch, weil ich mich gefragt habe: „Wieso gerade ich?“ Wieso bekomme ich diese Krankheit? Ich habe mich dann mit dem Thema chronische Krankheiten beschäftigt und kam dann für mich zu dem Schluss: Wenn der liebe Gott diese Krankheiten schon nicht verhindern kann, gibt er sie denjenigen, die sie tragen und ertragen können. Ich habe dann der Krankheit gesagt: „du schaffst es nicht, mich kleinzukriegen“. Und die Krankheit hat gesagt: „Aber ich bin da, wir müssen miteinander auskommen“. Und so kamen wir miteinander aus. Zum Glück nur zweieinhalb Jahre. Dann kam der Anruf, Herr Rosa-Bian, wir haben eine Niere für Sie. Sie werden heute transplantiert.

 

Lebensritter: Wie verlief die Operation? Wie geht es Ihnen heute?

 

Mario Rosa-Bian: Als ich transplantiert wurde, bin ich dann am späten Nachmittag aufgewacht. Neben meinem Bett stand ein Arzt, der mir sagte: „Herr Rosa-Bian, ihre Niere ist schon angesprungen, die produziert schon Urin.“ Es war also der bestmögliche Ausgang von allen möglichen Ausgängen. Und ich war happy und bin dann sofort wieder eingeschlafen. Im weiteren Verlauf sind dann allerdings Komplikationen eingetreten, die dazu geführt haben, dass ich dann auf die Intensivstation kam, dass ich ins künstliche Koma kam, dass ich einen Herz-Kreislauf-Stillstand hatte und dass ich reanimiert worden bin. Die Ursache wurde medizinisch nie so ganz geklärt, ist aber auch aus jetziger Sicht total egal, weil danach hatte ich nie mehr irgendwelche Probleme. Das heißt, seit knapp 28 Jahren führe ich ein völlig normales Leben, kann wieder alles essen und vor allen Dingen unbegrenzt trinken. Als Dialysepatienten darf man ja so gut wie nichts trinken, weil die Nieren, wenn sie nicht mehr arbeiten, keinen Urin produzieren.

 

Also seit 28 Jahren geht es mir, von Kleinigkeiten abgesehen, unheimlich gut.

 

Lebensritter: Wie lange „hält“ denn eine transplantierte Niere?

 

Mario Rosa-Bian: Im Durchschnitt hält eine transplantierte Niere 10 bis 12 Jahre. Ich bin jetzt im 28. Jahr. Also wieder sehr viel Glück gehabt.

 

Lebensritter: Das Glück zieht sich ja durch Ihre Lebensgeschichte. Vor allen Dingen, weil es einen Menschen gegeben hat, der sich für die Organspende vor seinem Tod entschieden hat. Was würden Sie Menschen sagen, die sich mit Organspende noch nie auseinandergesetzt haben?

 

Mario Rosa-Bian: Also, wenn ich mit anderen Menschen über Organspende spreche, stelle ich immer wieder fest, dass das ein ganz schwieriges Thema ist. Denn wenn man über Organspende spricht, dann spricht man auch über den Tod. Das macht niemand gerne. Also ist es völlig normal, nachvollziehbar und erklärbar, dass viele Menschen das Thema Organspende eigentlich von sich fernhalten im Normalfall.

„Denn wenn man über Organspende spricht, dann spricht man auch über den Tod. Das macht niemand gerne.“

Jetzt ist es aber so: Rein statistisch kann jede und jeder zu jeder Zeit morgen auf eine Organspende angewiesen sein. Wenn man einen falschen Pilz isst, kann man übermorgen Leberversagen haben. Wenn man eine Grippe nicht richtig auskuriert, kann man Herzversagen bekommen, sodass man auf eine Herztransplantation angewiesen ist. Wenn man eine bestimmte Erbkrankheit hat oder wenn man Diabetes hat, kann sich das in Nierenversagen äußern. Dann ist man auf eine Leber, ein Herz oder eine Niere angewiesen.

 

Und was wollen wir denn alle, wenn wir krank werden? Wir wollen doch alle die bestmögliche Behandlung, die bestmögliche Therapie haben. Bei bestimmten Krankheiten geht es nur mit einer Organtransplantation. Das heißt, im Fall des Falles will jeder von uns organtransplantiert werden. Wenn nicht für sich, dann vielleicht für die betroffene Tochter oder für den betroffenen Ehepartner. Es kann aber nur eine Organtransplantation geben, wenn es genügend Menschen gibt, die für sich entscheiden, dass sie Organspender werden möchten.

 

Lebensritter: Woran liegt es, dass in Deutschland einfach zu wenig Organe gespendet werden?

 

Mario Rosa-Bian: In Deutschland warten zurzeit circa 8.400 Menschen auf ein Organ, das heißt auf eine Leber, ein Herz, auf Lungen, auf eine Niere oder eine Bauchspeicheldrüse. Und die Wartezeit auf eine Niere beträgt 9 bis 10 Jahre. In anderen Ländern ist das viel geringer und dafür gibt es Ursachen. Und einer der Ursache ist die gesetzliche Regelung. Dazu muss man wissen, dass in fast allen Ländern Europas die sogenannte Widerspruchsregelung gilt.

„In anderen Ländern ist das viel geringer und dafür gibt es Ursachen. Und einer der Ursache ist die gesetzliche Regelung.“

Lebensritter: Können Sie das kurz erklären?

 

Mario Rosa-Bian: Leider nicht kurz. Das bedeutet, jeder Mensch in diesen anderen Ländern Europas ist automatisch im Fall seines Hirntodes Organspender, außer er hat zu Lebzeiten widersprochen, dass er das sein möchte. In Deutschland haben wir die sogenannte Zustimmungsregelung, das heißt, jeder muss zu Lebzeiten einer möglichen Organspende für den Fall seines Hirntodes zugestimmt haben. Und das hat Auswirkungen, und zwar in der konkreten Situation, in der ein Mensch auf der Intensivstation liegt und bei ihm der Hirntod festgestellt worden ist. Er also theoretisch ein Organspender werden könnte.

 

In diesem Augenblick werden die Ärzte die Angehörigen fragen müssen: „Was glauben Sie, hat Ihr verstorbener Bruder, Ihre verstorbene Tochter gewollt? Wollte er oder wollte sie für den Fall des Hirntodes Organspender werden? Diese Frage wird auf jeden Fall gestellt, auch dann, wenn der Verstorbene einen Organspendeausweis bei sich hatte, und zu Lebzeiten zugestimmt hat, dass er Organspender sein will. In diesen Fällen ist es relativ einfach.

 

Wir wissen aber von den Transplantationsbeauftragten und von der Deutschen Stiftung Organtransplantation, dass es in 85 % der Fälle keine Willensbekundung des Verstorbenen gibt. Und dann werden die Angehörigen im schlimmsten Moment, nämlich im Moment des Verlustes ihres Bruders, ihrer Tochter, ihres Vaters, gefragt: „Was glauben Sie, hat Ihr Bruder, Ihr Vater, Ihr Sohn gewollt?“ Und aus Unsicherheit, aus Trauer, aus Wut und aus Verzweiflung sagen in den allermeisten Fällen die Angehörigen „Nein. Lassen Sie uns in Ruhe. Wir möchten, wir können uns das nicht vorstellen. Wir haben gerade andere Sorgen.“ Und das kann man den Menschen auch nicht vorwerfen.“

 

Im Falle einer Widerspruchsregelung lautet die Frage in derselben Situation anders. Die Frage lautet nämlich dann: „Wissen Sie, liebe Angehörige, von einem Widerspruch zur Organspende Ihres verstorbenen Sohnes, Ihrer verstorbenen Tochter?“ Und da kann die Antwort eigentlich nur „Ja“ oder „Nein“ lauten. Und selbst wenn die Antwort „Nein“ lautet, also die Angehörigen nichts wissen von einem Widerspruch, können die Angehörigen immer noch sagen „Wir möchten das nicht“, und dann findet keine Organspende statt.

 

Allein diese andere Fragestellung würde, das wissen wir aus den anderen Ländern, zu einer Steigerung der potenziellen Organspender beitragen.

 

Lebensritter: Gibt es noch andere Möglichkeiten, wie in Deutschland mehr Organe zur Transplantation zur Verfügung stehen könnten?

 

Mario Rosa-Bian: Die zweite Lösung wäre, dass wie in vielen anderen Ländern Europas eine Organspende auch nach dem Herz-Kreislauf-Tod möglich ist. Das ist in Deutschland verboten. Dies bedeutet nicht, dass alle Versterbenden Organspender werden, sondern nur, dass einem Patienten, der auf der Intensivstation liegt und künstlich beatmet wird und eine infauste Prognose hat und bei dem ein Teil-Hirntod festgestellt wurde und der in seiner Patientenverfügung für diesen Fall eine Organspende gewollt hat und  dessen Angehörige nach Rücksprache mit den Ärzten für genau diese Konstellation einer Organentnahme zugestimmt haben, die künstliche Beatmung abgestellt wird und dieser demzufolge dann nach 5 bis 30 Minuten verstirbt und er dann zum Organspender werden kann. Dies passiert sehr selten, jedoch häufig genug, um hunderte Leben zu retten.

 

Und die dritte Möglichkeit wird zum Beispiel in Spanien praktiziert. Spanien ist Weltmeister beim Thema Organspenden. Dort gibt es die meisten Organspender in Europa, nämlich circa 45 pro 1 Million Einwohner. In Deutschland liegen wir bei 10,4 pro 1 Million Einwohner.

 

In Spanien ist das Transplantationswesen dem Gesundheitsministerium unterstellt.

Das heißt, die Transplantationsbeauftragten, die die Aufgabe haben zu untersuchen, wo ein möglicher Organspender sein könnte, unterliegen den Weisungen des Gesundheitsministeriums, was in Deutschland völlig anders geregelt ist. Hier sind die Transplantationsbeauftragten Angestellte des Krankenhauses. Die dritte Möglichkeit verlangt also nach anderen Strukturen, anderen Verantwortlichkeiten, mehr Rechten für die Transplantationsbeauftragten, die damit auch die Möglichkeit hätten, mehr potenzielle Organspender zu identifizieren.

 

Lebensritter: Sie engagieren sich dafür, dass diese Änderungen auch in Deutschland umgesetzt werden? Wie?

 

Mario Rosa-Bian: Wie ich anfänglich schon gesagt habe, reicht Aufklärung allein nicht, vielmehr muss zur Kenntnis genommen werden, dass das ein politisches Thema ist. Die Organspende wird durch ein Gesetz geregelt, durch das Transplantationsgesetz. Und dieses Gesetz ist in seinen Regelungen, in seinem Wirken in Deutschland sehr viel anders als in anderen Ländern Europas. Das heißt, die gesetzliche Regelung ist mitverantwortlich oder hauptverantwortlich dafür, dass wir diese langen Wartezeiten haben, dass Menschen auf der Warteliste sterben, dass das Leid immer länger wird.

„Die gesetzliche Regelung ist mitverantwortlich oder hauptverantwortlich dafür, dass wir diese langen Wartezeiten haben, dass Menschen auf der Warteliste sterben, dass das Leid immer länger wird.“

Im Bereich der Organspende und der Transplantation haben wir einen 30-prozentigen Rückgang im Laufe der letzten 25 Jahre. Das muss man sich mal vorstellen. Insofern müssen wir uns als Niere NRW klar werden: Es geht nicht nur um Selbsthilfe, es geht auch um Politik.

 

Lebensritter: Sie planen aber auch noch mehr. Sie planen auch eine Verfassungsbeschwerde?

 

Mario Rosa-Bian:

Wir sind auch nicht der einzige Verein in Deutschland, der zu der Erkenntnis gekommen ist, dass man politisch etwas verändern muss und sich deswegen mit anderen Vereinen zu einem Bündnis zusammengeschlossen hat. ProTransplant ist ein Bündnis von Selbsthilfegruppen, Vereinigungen und auch von Medizin, von einzelnen Medizinern und Stiftungen, die sich für eine gesetzliche Änderung der Transplantationsregeln einsetzen.

 

Das machen wir konkret dadurch, dass wir in diesem Jahr eine sogenannte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen werden. Nicht juristisch formuliert bedeutet das: Wir werfen der Bundesregierung und dem Bundestag vor, nicht genügend zu tun, um die Situation für die Patienten zu verbessern. Der Gesetzgeber hat ja schon etwas getan. Es gibt ein Transplantationsgesetz, aber das ist in unserer Wahrnehmung viel zu rigide formuliert.

 

Das Einzige, was uns davon abhalten könnte, wäre ein Beschluss des Bundesrates, der die Bundesregierung konkret mit einem Gesetzesvorschlag auffordert, die Widerspruchsregelung in Deutschland einzuführen. Wenn das so kommt, könnte es passieren, dass die juristische Grundlage für die Verfassungsbeschwerde entfällt, weil wir dann, laienhaft formuliert, dem Gesetzgeber nicht mehr vorwerfen könnten, nicht genügend zu tun, um das Leid und den Tod auf der Warteliste zu verringern. Aber auch in diesem Fall hätten wir ja schon viel erreicht.

„Das Einzige, was uns davon abhalten könnte, wäre ein Beschluss des Bundesrates, der die Bundesregierung konkret mit einem Gesetzesvorschlag auffordert, die Widerspruchsregelung in Deutschland einzuführen… Aber auch in diesem Fall hätten wir ja schon viel erreicht.“

 

 

 

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