Der 24. Dezember 2017 ist für die Familie Pöppelmann ein ganz besonderer Tag. Nicht wegen des Heiligen Abends – sondern wegen eines Anrufs. An diesem Tag kam die ersehnte Nachricht: „Wir haben eine Niere für Sie!“ Mit dem Spenderorgan kann Michael Pöppelmann nun ein Leben ohne Dialyse führen. Wir haben den Fahrlehrer in Nottuln besucht und mit ihm über seine neue Niere Charlotte gesprochen.
Lebensritter: Herr Pöppelmann, warum hat Ihre Niere denn einen Namen? Und warum ausgerechnet Charlotte?
Michael Pöppelmann:
Der kommt eigentlich von meinem Arzt. Als das Angebot für die Niere kam, sagte er, das sei eine richtig schöne Charlotte – weil sie so klein war. Ich habe den Namen behalten …
„Als das Angebot für die Niere kam, sagte der Arzt, das sei eine richtig schöne Charlotte – weil sie so klein war.“
Lebensritter: Bevor wir zu Ihrem neuen Leben mit Charlotte kommen, warum war eine Dialyse überhaupt notwendig?
Michael Pöppelmann:
Ich habe Markschwammnieren. Das ist eine angeborene Fehlbildung, durch die es unter anderem zu Nierensteinen kommt. Mein Urologe sagte bei der Diagnose, dass Konrad Adenauer auch Markschwammnieren hatte und damit über 90 Jahre alt geworden ist, deshalb habe ich mir nicht allzu viele Sorgen gemacht. Ich musste immer viel trinken, um die Nieren zu spülen. Eine Zeit lang ging das auch ganz gut und ich habe auf Feiern gerne gescherzt, dass ich das ganze Bier ja nur wegen meiner Nieren trinken muss, quasi Bier auf Rezept. Nierensteine hatte ich trotzdem, aber damit kann man umgehen. Ich habe einmal auf der Fahrt nach Berlin auf dem Rastplatz einen Stein ausgepullert – die Fernfahrer haben vielleicht gekuckt, als der in die Keramik kullerte und „klong“ machte! Na ja, ganz so lustig war das alles nicht. Dazu kamen ja auch Nierenkoliken, die waren schlimm, das sind ganz üble Schmerzen. Tja, und irgendwann haben meine Nieren aufgegeben und ich musste zur Dialyse. Das war im Jahr 2008.
„Na ja, ganz so lustig war das alles nicht. Dazu kamen ja auch Nierenkoliken, die waren schlimm, das sind ganz üble Schmerzen.“
Lebensritter: Wie kann man sich ein Leben mit Dialyse vorstellen?
Michael Pöppelmann:
Ich sag mal so – ich war 10 Jahre dreimal die Woche für jeweils fünf Stunden an dem Dialysegerät. Das stellt den Alltag natürlich komplett auf den Kopf, besonders, wenn man wie ich selbstständig ist. Als Fahrlehrer konnte ich nicht mehr arbeiten, die Stunden im Auto habe ich einfach nicht mehr geschafft, weil ich nach einer Stunde Bauchmuskelkrämpfe bekam. Es wurde dann ein Mitarbeiter eingestellt und ich habe nur noch Theorie-Unterricht gegeben. Man kann das alles irgendwie hinkriegen, wir sind sogar in Urlaub gefahren, es lässt sich alles organisieren. Ich glaube, die innere Einstellung ist entscheidend – ich bin immer positiv gestimmt zur Dialyse gefahren, habe mit dem Krankenhauspersonal gequatscht und versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Ich habe die Dialyse in mein Leben integriert, bin selbst mit dem Auto hingefahren und wieder zurück. Man kann sich auch mit dem Taxi abholen lassen, aber das wollte ich nicht. Ich hatte immer das Gefühl, erst wenn ich nicht mehr selber fahren kann, bin ich auch tatsächlich richtig krank – irgendwie verrückt …
Birgit Pöppelmann:
Mein Mann hat diese Zeit nie als verlorene Zeit angesehen. Ich glaube, diese positive Sicht hat vieles erleichtert.
Michael Pöppelmann:
Das stimmt, obwohl es nicht immer einfach war, besonders dann, wenn man mit dem Tod konfrontiert wurde. Bei der Dialyse hatte ich ein 4-Bett-Zimmer mit immer den gleichen Leuten. Einige sind in den 10 Jahren gestorben, weil sie kein Spenderorgan bekommen haben, sie waren beim nächsten Mal einfach nicht mehr da. Die ersten Jahre habe ich eigentlich ganz gut verkraftet, auch wenn ich mich zum absoluten Stimmungskiller beim Kegeln oder beim Schützenfest entwickelt habe – ich durfte ja wegen der Dialyse nicht viel Flüssigkeit zu mir nehmen. Und wenn ich den ganzen Abend mit meinem halben Glas Wasser da rumgesessen habe, hat das nicht immer Spaß gemacht. Auch die anderen hatten oft ein schlechtes Gewissen. Aber ich konnte ja nichts anderes machen. Als Dialysepatient wurde ich automatisch auf die Warteliste für ein Organ gesetzt, weil die Dialyse am Körper zehrt, sie greift Knochen und Muskeln an [Anm. Lebensritter: Die Dialyse kann die Funktion der Nieren nicht völlig ersetzen, nicht alle Giftstoffe aus dem Blut entfernen. Im Laufe der Jahre sammeln sich Stoffe an, die zu Komplikationen führen können. Dazu zählen unter anderem Knochenschmerzen und -brüche, Herz- und Muskelschwäche.]. Und man weiß ja nicht, wann man ein neues Organ bekommt.
„Als Dialysepatient wurde ich automatisch auf die Warteliste für ein Organ gesetzt, weil die Dialyse am Körper zehrt, sie greift Knochen und Muskeln an.“
Lebensritter: Und dann kam irgendwann Charlotte?
Michael Pöppelmann:
Ja. Ich hatte schon vor Charlotte ein Angebot für eine Niere, das war 2017. Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich eine Grippe, und dann wird natürlich nicht transplantiert. Charlotte kam am 24.12.2017 zu mir, quasi als das beste Weihnachtsgeschenk der Welt. Ich habe einen Anruf bekommen und wir sind nach Bochum in die Klinik gefahren. Bei so einer Transplantation geht es ja auch immer um Übereinstimmungen, dafür gibt es eine Skala von 1 bis 9 – 9 ist perfekt, unter 4 wird nicht transplantiert. Charlotte und ich haben eine 8, so ein hoher Wert ist ganz selten, das war wirklich optimal. 14 Tage ging alles gut, dann stiegen die Kreatinin-Werte, mein Blutbild verschlechterte sich – das war die erste Abstoßung. Dann kam noch das BK-Virus, dazu ein Harninfekt und damit die zweite Abstoßung. Mehrere Wochen war ich in der Klinik und kaum war ich zu Hause, sind meine Beine angeschwollen und ich musste wieder zurück. Insgesamt gab es vier Abstoßungen. Heute geht es mir den Umständen entsprechend gut. Es kommen zwar immer neue Wehwehchen hinzu, aber vielleicht ist das ja auch das Alter. Und Charlotte muss sich ja auch erst mal an ihr neues Leben gewöhnen …
„Charlotte und ich haben eine Übereinstimmung von 8, so ein hoher Wert ist ganz selten, das war wirklich optimal.“
Lebensritter: Wie hat die Krankheit Ihre Familie beeinflusst?
Michael Pöppelmann:
Meine Frau ist ein halbes Jahr jeden Tag von Nottuln nach Bochum gefahren und hat sich „nebenbei“ noch um unsere Tochter, das Geschäft und den Haushalt gekümmert. Aber die Krankheit hat unser Leben natürlich schon lange vor der Transplantation beeinflusst, allein durch die Dialyse. Weil wir nicht wussten, ob ich rechtzeitig eine Niere bekomme, hat meine Frau sich testen lassen. Die Übereinstimmung ist ausreichend, sodass ich zur Not, wenn also Charlotte irgendwann nicht mehr kann, eine Niere von meiner Frau bekomme. Zum damaligen Zeitpunkt war das noch keine Option, da unsere Tochter noch zu jung war, um auf eigenen Beinen zu stehen – man weiß ja nie, ob wir beide die Operation überlebt hätten, ein Risiko gibt es immer. Jetzt wäre das kein Problem mehr. Natürlich tragen alle einen Organspendeausweis im Portemonnaie. Bei unserer Tochter ist das Thema sehr präsent, sie hat sich jetzt auch als Stammzellenspenderin eintragen lassen.
Lebensritter: Und wie sieht es mit Ihrem Umfeld aus? Wissen Ihre Freunde und Bekannten Bescheid?
Michael Pöppelmann:
Na und ob, dafür sorgen wir. Durch die Fahrschule bin ich hier im Ort bekannt und viele kennen meine Geschichte, seitdem ich ein paar Mal in der Presse und im Fernsehen war. Wenn mich jemand grüßt, kommt auch immer „Wie geht’s Charlotte?“. Zudem bekommt bei mir jeder zur bestandenen Fahrprüfung einen Thermo-Becher und einen Organspendeausweis überreicht. Ich finde es wichtig, etwas zu machen – Herr Spahn macht es im Großen, wir machen es im Kleinen. In Nottuln gibt es 20.000 Einwohner, und wir versuchen, das Thema bei uns im Ort salonfähig zu machen. Unser Ziel ist es, neue Organspender zu gewinnen – denn wenn wir nur einen neuen Organspender gewinnen können, rettet das acht bis neun Menschen das Leben. Ich bin aber auch nicht böse, wenn jemand sagt, ich will kein Organspender sein. Grundsätzlich sind die meisten Leute ja positiv dem Thema gegenüber eingestellt, sie brauchen lediglich einen Anstoß, der sie aus ihrem Phlegma reißt – diese Leute muss man erreichen! Es gibt gar nicht so viele, die sich bewusst gegen eine Organspende aussprechen, diese Gruppe kann man zahlenmäßig vernachlässigen. Die anderen, die in dieser phlegmatischen Grauzone festhängen, die sich nicht damit beschäftigen, um die geht es! Mit der Widerspruchslösung kann man das schaffen. Deshalb kann ich manchmal auch den politischen Diskurs nicht nachvollziehen – die Einstellung der meisten Leute ist doch okay.
Lebensritter: Sind Sie dankbar?
Michael Pöppelmann:
Ja, von ganzem Herzen, auch wenn ich meine Dankbarkeit dem Spender gegenüber nicht zeigen kann. Unsere Art, Danke zu sagen, ist, das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen, in der Hoffnung, dass sich möglichst viele Menschen aktiv für Organspende aussprechen.
Birgit Pöppelmann:
Genau ein Jahr nach der Transplantation, am 24.12.2018, saßen wir am Frühstückstisch und haben die letzten Monate noch mal Revue passieren lassen. Ich wollte unbedingt meine Dankbarkeit zeigen, ich musste irgendetwas tun. Ich habe dann einen Strauß Blumen gekauft, bin zum Friedhof und habe ihn auf das trostloseste Grab gelegt, das ich finden konnte, eines, dem man ansehen konnte, dass schon lange keiner mehr da war.
„Unsere Art, Danke zu sagen, ist, das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen, in der Hoffnung, dass sich möglichst viele Menschen aktiv für Organspende aussprechen.“