Menschen

21 Jahre, drei Herzen und mitten im Leben

Dimitrios Christodoulou, genannt Dimi, hat schon mehr erlebt als manch anderer im ganzen Leben. Bereits das zweite Spenderherz schlägt in der Brust des 21-jährigen Griechen. Wie konnte es zu zwei Transplantationen kommen? Wir wollten mehr erfahren und haben ihn und seine Familie in Düsseldorf besucht.

Lebensritter: Wie und wann haben Sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt?

 

Dimitrios Christodoulou: Aufgefallen ist es mir beim Fußball. Das war 2017, ich war 17 Jahre alt und habe im Verein gespielt, in Wersten, hier in Düsseldorf. Irgendwann ging mir die Puste aus. Ich konnte nicht mal mehr fünf Meter weit laufen, dann war komplett Schluss. Richtig schlimm war es an einem Schultag. Ich fühlte mich total schlapp, musste aber los, weil wir an diesem Tag eine Klausur schreiben sollten. Die Schule war zu Fuß nur einen halben Kilometer von unserer Wohnung entfernt – das ist ja nichts, das bin ich sonst jeden Tag gelaufen. An diesem Tag habe ich noch nicht mal die Hälfte geschafft. Ich bin dann wieder zurückgegangen, ich konnte einfach nicht mehr.

„Die Schule war zu Fuß nur einen halben Kilometer von unserer Wohnung entfernt. An diesem Tag habe ich noch nicht mal die Hälfte geschafft.“

Lebensritter: Gab es denn noch andere Symptome? Oder waren Sie nur schnell aus der Puste?

 

Dimitrios Christodoulou: Nein, keine anderen Symptome, ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich so schlapp war. Und wie gesagt: Ich war ja im Fußballverein, ich konnte immer laufen wie sonst noch was. Ich dachte nur: Mist, irgendwas ist hier falsch.

Lebensritter: Wie ging es dann weiter, an dem Klausur-Tag?

 

Dimitrios Christodoulou: Als ich wieder zu Hause angekommen war, ist meine Mutter mit mir direkt zum Arzt gegangen. Dort wurde als Erstes ein Ultraschall gemacht. Der Kinderarzt hat kurz draufgeguckt und direkt gesagt: Herzmuskelentzündung, sofort ab ins Krankenhaus! Diese Herzmuskelentzündung ist wohl aus einer Bronchitis entstanden, die sich zu einer Lungenentzündung weiterentwickelt hat und dann aufs Herz geschlagen ist. Da hat sich eins aufs andere aufgebaut.

Lebensritter: Wie war das für Sie? Hatten Sie in dem Moment Angst?

 

Dimitrios Christodoulou: Nicht direkt Angst, aber es war schon ein blödes Gefühl.

 

Lebensritter: In welches Krankenhaus sind Sie dann gekommen?

 

Dimitrios Christodoulou: In die Uniklinik Düsseldorf. Die haben sich direkt mit dem Herzzentrum in Gießen in Verbindung gesetzt, dorthin sollte ich verlegt werden. Allerdings gab es dort kein freies Bett mehr, deshalb wurde ich dann nach einer Woche nach Bad Oeynhausen gebracht. [Anmerkung Lebensritter: Das Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen ist Deutschlands größtes Herztransplantationszentrum.]

Lebensritter: Was wurde in Düsseldorf gemacht?

 

Dimitrios Christodoulou: Ich wurde nicht operiert oder so. Ich lag auf der Intensivstation und habe viele Medikamente über die Venen bekommen.

„Ich lag auf der Intensivstation und habe viele Medikamente über die Venen bekommen.“

Lebensritter: Was geht einem so durch den Kopf, wenn man da liegt?

 

Dimitrios Christodoulou: Das kann ich gar nicht mehr sagen, ich weiß nur noch, dass mir total langweilig war, weil ich ja nichts machen konnte.

Lebensritter: War eigentlich zu dem Zeitpunkt schon klar, dass Sie ein neues Herz brauchen?

 

Dimitrios Christodoulou: Nein. In Bad Oeynhausen haben die Ärzte mit Medikamenten versucht, mich wieder so fit zu kriegen, dass ich mit meinem eigenen Herzen weiterleben kann. Im November 2017 habe ich dann ein Herzunterstützungssystem bekommen, ein LVAD. [Anmerkung Lebensritter: Ein LVAD, ein Linksherzunterstützungssystem, ist eine mechanische Pumpe, die das Herz dabei unterstützt, das Blut durch den Körper zu transportieren.] Im Januar 2018 gab es aber Komplikationen, am Gerät bzw. am Herzen hatte sich Gewebe angesammelt. Ab da war klar, dass ich ein neues Herz brauche. Im März konnte ich dann mit dem Gerät nach Hause und wurde auf die Warteliste gesetzt mit der Stufe HU (High Urgency), also hochdringlich.

 

Lebensritter: Wenn man gesagt bekommt, dass man ein neues Herz braucht – was geht einem in dem Moment durch den Kopf?

 

Dimitrios Christodoulou: Nichts. Ich habe das gar nicht richtig realisiert, ich habe nur gedacht: Okay, das wird schon.

Lebensritter: Wie lange haben Sie auf Ihr neues Herz gewartet?

 

Dimitrios Christodoulou: Drei Monate. Der Anruf kam im Juni 2018. Daran kann ich mich noch gut erinnern: Ich war mit Freunden draußen an dem Tag, wir waren zusammen essen und ich kam erst gegen 23 Uhr nach Hause. Zwei Stunden später klingelte das Telefon. Ich musste sofort nach Bad Oeynhausen. Meine Mutter ist mitgefahren, ein Krankenwagen hat uns abgeholt. Als wir in Bad Oeynhausen ankamen, wurde ich direkt auf mein Zimmer gebracht, OP-fertig gemacht und zwei Stunden später operiert.

Lebensritter: Was denkt man, wenn man ein neues Herz bekommt?

 

Dimitrios Christodoulou: Gar nichts, alles spult sich automatisch ab. Ich hatte auch keine Angst mehr, nachdem ich dort war. Ein Arzt, der mich noch vom letzten Mal kannte, hat mir Glück gewünscht und gesagt, dass er mir die Daumen drückt. Wie lange ich im OP war, weiß ich nicht, ich bin drei Tage später wieder aufgewacht. Jeder hatte Angst, weil man normalerweise nach einem Tag oder nach zwölf Stunden aufwacht, und ich habe drei Tage lang geschlafen.

Lebensritter: Wie war das Aufwachen?

 

Dimitrios Christodoulou: Ich habe direkt gemerkt, dass ich mehr Kraft habe. Ich habe mich lebendiger gefühlt.

 

Lebensritter: Wie ging es dann weiter?

 

Dimitrios Christodoulou: Ich lag einen Monat im Krankenhaus, Mitte August war ich wieder zu Hause. Alles ist gut verheilt. Die ersten drei Monaten musste ich zu Hause bleiben; ich durfte nicht raus und musste mich schonen. Nach den drei Monaten konnte ich wieder zur Schule gehen, mit Sport durfte ich nach sechs Monaten anfangen. Ich habe dann meinen Realschulabschluss gemacht, 2021 mein Fach-Abi und 2022 mein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) in einer Wohngruppe bei der Diakonie absolviert.

Lebensritter: So weit die Geschichte von der Organspende Nummer 1. Jetzt kommt Nummer 2, oder?

 

Dimitrios Christodoulou: Ja. Das passierte Ende 2022, nach meinem FSJ. Ich habe in einem Bekleidungsgeschäft hier in der Düsseldorfer Innenstadt gearbeitet. Ich wollte Kleidung zurück ins Lager bringen und bin einfach umgekippt.

Lebensritter: Ohne Vorankündigung? Ohne dass Sie sich vorher schlapp gefühlt haben?

 

Dimitrios Christodoulou: Ich war zwar immer kaputt nach der Arbeit, aber ich hatte ja gerade erst dort angefangen und ich dachte: Okay, es ist eine neue Arbeit, wird schon, ich gewöhne mich dran und dann passt das wieder. Na ja, auf jeden Fall bin ich dann ins Krankenhaus eingeliefert worden. In der Schön Klinik Düsseldorf hat der Arzt direkt gesehen, dass ich Herz-transplantiert bin, weil ich an dem Tag ein T-Shirt mit V-Ausschnitt anhatte und man meine Narbe von der ersten Herz-OP sehen konnte. Er hat dann direkt in Bad Oeynhausen angerufen. Noch am selben Tag wurde ich verlegt und schon eine Woche später, am 23. November, habe ich ein neues Herz bekommen.

„Nur eine Woche nach meiner Verlegung, habe ich ein neues Herz bekommen.“

Lebensritter: Warum hat das 1. Spenderherz versagt?

 

Dimitrios Christodoulou: Das war eine Abstoßung, das kann passieren. Mein Immunsystem war einfach zu stark. Was aber alle überrascht hat, war, dass es so schnell ging.

Lebensritter: Fühlt sich das neue Herz anders an?

 

Dimitrios Christodoulou: Ja, es fühlt sich besser an als das andere. Es hat mehr Kraft.

Lebensritter: Haben Sie Angst, dass es wieder passieren könnte?

 

Dimitrios Christodoulou: Nein, nicht wirklich. Die Ärzte in Bad Oeynhausen haben meine Medikamente jetzt so eingestellt, dass mein Immunsystem noch schwächer ist.

Lebensritter: Machen Sie mit einem schwächeren Immunsystem jetzt irgendwas anders als beim ersten Mal?

 

Dimitrios Christodoulou: Ich passe mehr auf, dass ich zum Beispiel nicht in sehr großen Menschenmengen bin, aber sonst: Maske in der Bahn, kein Fußball, Medikamente nehmen, auf Ernährung achten – das Übliche halt. Ich darf langsam wieder mit Sport anfangen, ich laufe jetzt, um mein Herz zu stärken.

Lebensritter: Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

 

Dimitrios Christodoulou: Im Oktober werde ich anfangen Soziale Arbeit in Düsseldorf zu studieren. Später möchte ich dann Sozialarbeiter oder Erzieher werden, im Kindergarten oder in einer Wohngruppe. Ich würde gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Lebensritter: Hat sich Ihre Sicht aufs Leben durch die Transplantationen verändert?

 

Dimitrios Christodoulou: Ja, das Leben ist für mich jetzt wertvoller als vor den Operationen. Und ich bin der Meinung, man sollte machen, was man will, ohne darauf zu achten, was andere denken.

„Das Leben ist für mich jetzt wertvoller als vor den Operationen.“

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