Fundstücke

Wenn nach der Transplantation vor der Transplantation ist

Lara Zöllner litt an Lungenhochdruck. Doch bis die Erkrankung diagnostiziert wurde, verging einige Zeit, in der sie sich immer wieder sehr schlecht fühlte. Nach der Diagnose zeigte sich das Ärzteteam zunächst optimistisch: Medikamente sollte den Zustand des Mädchens stabilisieren. Doch die Mittel schlugen nicht an. Ende 2019 konnte nur noch eine Lungentransplantation ihr Leben retten – und es sollte nicht die letzte bleiben. Mutter Nicole erinnert sich: an die Zeit vor der Transplantation und danach, an sechs schmerzliche Monate getrennt vom Rest der Familie und an ihr zweites Zuhause, das Haus Schutzengel, wo sie und Lara viele Menschen in ihr Herz schließen durften. Hier erzählt Sie die ganze Geschichte.

 

Wenn ich es wenigen Worten beschreiben müsste, würde ich sagen: Wir gingen zum Arzt und kamen nicht mehr nach Hause. 

Lara litt schon als Kleinkind an selektivem Mutismus und einer Sozialphobie. Dies beeinflusste sämtliche Kontakte und Gespräche mit ihr und tut es noch heute. Bis wir zum Arzt gingen, war sie eigentlich immer gesund und hatte noch nie in ihrem Leben eine Tablette schlucken müssen. Im Jahr 2019 wurde Lara immer weniger belastbar und musste sich bei Anstrengung übergeben. Außerdem war ihr Herzschlag durch die Brust sehr stark sichtbar.

Auch in der Schule fiel auf, das Lara zunehmend „fauler“ wurde und sich beim Sport oft übergeben musste. Bei Arztbesuchen schob man dies jedoch auf Laras Mutismus und die Pubertät – nach dem Motto sie will einfach nicht, was leider für Mutismus nicht untypisch ist. Und das EKG war auch unauffällig. In der Schule hieß es dann, sie würde sich absichtlich übergeben, um nicht am Sportunterricht teilnehmen zu müssen. Heute wissen wir, dass das nicht der Grund war, wir können aber auch niemandem einen Vorwurf machen. Ihre Grunderkrankung ist sehr selten und noch nicht so bekannt. Und auch die Diagnostik ist nicht einfach. Ein Professor bat mich einmal, für seine Studenten die Symptome in wenigen Worten zu beschreiben. Am ehesten passt leider „das faule Kind“.

Ende September wurde Lara elf Jahre alt. Da ihre Schwester Anfang Oktober Geburtstag hat, wurde der Kindergeburtstag immer zusammen auf dem Oktoberfest in Hannover gefeiert. An diesen einen Geburtstag erinnere ich mich noch genau: Wir waren gerade erst vor Ort angekommen, aber Lara konnte nur noch wenige Meter laufen und benötigte immer wieder einige Minuten Pause. Sie wollte aber nicht auf ihre Feier verzichten und mit ihren Freunden Karussell und Achterbahn fahren.

Im Nachhinein erfuhren wir, dass es ein Wunder war, dass sie noch lebend aus der Achterbahn aussteigen konnte.

Nach der ersten Fahrt musste sie mehrfach erbrechen und es ging nur mit Mühe und Not nach Haus. Das war der Zeitpunkt, an dem mir all das nicht mehr normal erschien. Ich rief direkt am Montag bei einem Kinderkardiologen an. In der Regel wartet man dort lange auf einen Termin, nach Beschreibung der Symptome bekamen wir jedoch sehr zeitnah einen Termin.

Lara einen Tag nach der ersten Transplantation.

Was mir von den folgenden Tagen und Wochen blieb, sind teilweise nur noch Erinnerungsfetzen. Am 24. Oktober fuhren Lara und ich mit der Bahn und dem Taxi zum Kardiologen, in dem festen Glauben, dass sie evtl. etwas am Herzen hat, was mit Tabletten behandelbar ist. Doch es kam alles anders: Sie musste zunächst ganz normal zum EKG und danach ging es für uns ins Sprechzimmer zum Herzecho.

Der Arzt schallte Laras Herz nicht lange und ging dann kurz raus. Als er wiederkam, sagte er, das müsste direkt in einer Fachklinik angeschaut werden. Ich sollte mich zwischen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) entscheiden. Da die MHH leichter erreichbar war, entschied ich mich für die MHH. Und weil der Arzt es als zu gefährlich für Lara ansah, mit der Bahn in die Klinik zu fahren, organisierte er einen RTW für den Transport.

Ich wusste nicht, was los war. Auch Lara bekam Panik und fragte, ob sie ein neues Herz benötigen würde.

Diese Frage stellte sie an diesem und dem darauffolgenden Tag öfter. Allerdings bekamen wir zunächst keine Antworten. In der Klinik angekommen ging es direkt zum Herzecho und danach auf die Herzstation. Wir wussten immer noch nicht genau, was los war. In den ersten Tagen kam ein Ärzteteam und klärte mich auf, dass Lara Lungenhochdruck hätte und gab mir entsprechendes Infomaterial über die Erkrankung an die Hand. Noch waren alle guter Hoffnung, man könne Lara mit Medikamenten einstellen.

Doch in den darauffolgenden Tagen brach sie irgendwann unerwartet auf der Toilette zusammen und kam auf die Intensivstation. Es stellte sich
heraus, dass die Medikamente bei Lara nicht mehr anschlugen. Ihr Zustand war sehr kritisch, eine Reanimation wäre im Ernstfall nicht mehr möglich. In einem Gespräch teilte man mir dann mit, dass noch nur noch eine Transplantation oder aber die Palliativbetreuung in Frage kamen. [Anmerkung Lebensritter: Die Palliativbetreuung beinhaltet die Versorgung schwerstkranker Menschen und Sterbender.]

Es war völlig irreal. Eine Woche zuvor hatte Lara noch zu Hause gespielt. Wir dachten, wir könnten das Krankenhaus sicher in den nächsten Tagen wieder verlassen, wenn alles geklärt wäre. Und nun standen wir vor einer solchen Wahl. Wir entschieden uns selbstverständlich für die Transplantation. Es folgten Gespräche und Untersuchungen zur Listung. Durch ihren kritischen Zustand hatte ich Angst vor der Wartezeit.

Niemand rechnete damit, dass noch am selben Abend der Listung das Telefon klingeln würde und Lara direkt transplantiert werden könnte

„Es war völlig irreal. Eine Woche zuvor hatte Lara noch zu Hause gespielt.“

Als feststand das Lara transplantiert werden sollte und wir über alles aufgeklärt worden waren, wussten wir, dass es nicht mehr nachhause ging. Wir lebten in einem alten Haus mit feuchten Wänden und entsprechenden Problemen – keine Umgebung für ein lungentransplantiertes Kind. Sofort starteten wir online die Wohnungssuche, leider blieb diese erfolglos. Und somit wurden Lara und ich in das Haus Schutzengel an der MHH entlassen, eine kliniknahe Unterkunft für Mukoviszidose Patienten.

Während Laras Papa mit den beiden Geschwistern vorerst weiter in der alten Wohnung lebte. Im Dezember half uns die Hannoversche Allgemeine Zeitung bei der Wohnungssuche und veröffentlichte einen Artikel. Die Resonanz war zwar groß, jedoch fanden wir keine Wohnung. Der Papa kam an den Wochenenden mit den anderen Kindern zu Besuch und Weihnachten sowie Silvester verbrachten wir mit den anderen Familien im Haus Schutzengel.

Für viele mag sich das alles dramatisch anhören, aber es war eine ganz besondere Zeit.

Denn durch Laras Transplantation kamen viele Umstellungen auf uns zu und durch die Unterbringung im Haus Schutzengel hatten wir noch etwas Sicherheit. Wir konnten uns langsam an die neue Situation gewöhnen. Außerdem trafen wir hier auf andere Familien, deren Kinder ebenfalls schwer erkrankt waren. Es herrschte ein unglaublicher Zusammenhalt. In der Vorweihnachtszeit wurde viel zusammen gebacken und gebastelt, was ich mittlerweile in der Vorweihnachtszeit immer sehr vermisse. Man war unter Gleichgesinnten, jeder hatte seinen Schicksalsschlag, jeder hatte Verständnis, man musste sich nie erklären.

Im Januar ging es dann für uns in die familienorientierte Reha. Organisatorisch war es etwas schwierig und sehr ungewohnt, mit all den neuen Aufgaben im Alltag plötzlich wieder zu fünft zu sein. Plötzlich ging es nicht mehr nur darum, Lara pünktlich zu ihren Terminen zu bringen, Nüchtern- und Medikamentenzeiten einzuhalten und andere Regeln zu beachten, sondern eben auch darum, Laras Geschwister zu versorgen, ihnen die Regeln näherzubringen und zu erklären. Für mich war diese Reha vor allem psychisch eine große Herausforderung.

Nach der Reha ging es für Lara und mich wieder ins Haus Schutzengel und für meinen Mann mit den beiden Kleinen nachhause. Ende Februar fanden wir dann endlich eine Wohnung, die wir ab dem 1. Mai beziehen konnten. Wir nutzten die restliche Zeit, um alles für die neue Wohnung zu organisieren. Durch den Sporenbefall in der alten Wohnung musste fast alles neu angeschafft werden. Anfangs fiel es mir sehr schwer, in der neuen Wohnung anzukommen, an einem neuen Wohnort und in einem neuen Alltag. Mein Mann musste direkt wieder arbeiten und ich musste die Situation mit drei Kindern plötzlich allein meistern.

Bis heute komme ich „nach Hause“, wenn ich in die Klinik oder ins Haus Schutzengel gehe. Lara und ich konnten uns dort langsam an alles gewöhnen.

All die Menschen, die uns in dieser Zeit vor Ort betreut und begleitet haben, konnten uns sehr viel Kraft geben.

Lara feiert Geburtstag in der Klinik.

Neun Monate nach der ersten Transplantation benötigte Lara eine zweite Spenderlunge.

Wir waren gerade einmal 3 Monate im neuen Zuhause. In dieser Zeit fuhren wir viel Fahrrad. So auch an einem Abend im August. Lara hatte zuvor schon etwas Probleme mit der Lungenfunktion, im Großen und Ganzen ging es ihr jedoch gut und sie konnte ganz normal am Alltag teilgenommen.

An dem besagten Abend lag sie plötzlich nach der Fahrradtour auf dem Sofa unter der Decke und war müde. Das war schon sehr untypisch für sie. Sie fing an zu fiebern und bekam Schüttelfrost. Ich rief direkt in der Klinik an. Wir sollten kurz zur Blutentnahme vorbeikommen und uns wurde ein Rettungswagen zum Transport geschickt. Die Rettungssanitäter stellten mit Schrecken fest, dass ihre Sauerstoffsättigung viel zu niedrig war. Es ging mit Blaulicht in die Klinik. Ich erfuhr später, dass es sich um eine schwere akute Abstoßung handelte.

Die Einlieferung, die Listung, der Anruf…alles erfolgte an den gleichen Wochentagen wie bei der ersten Transplantation. Ich glaube nicht an Zufälle, aber seit diesem Tag an Wunder.

Nach der zweiten Transplantation lief anfangs alles relativ normal – bis auf die typischen Startschwierigkeiten nach einem solchen Eingriff. Dann aber verschlechterte sich ihr Zustand aus unerklärlichen Gründen, zwischenzeitlich wurde Lara unter anderem reanimationspflichtig. Es wurden psychische Ursachen vermutet. Sie behielt keine Nahrung mehr bei sich und ihr fehlte die Kraft zur Bewegung , sogar der Gang zur Toilette war unmöglich. Sie benötigte immer wieder Sauerstoff und Unterstützung bei der Beatmung und baute immer mehr ab.

Nach fast 4 Monaten wurden wir mit einer kompletten Ausstattung aus Rollstuhl, Pflegebett, Windeln, einer PEG Sonde zur künstlichen Ernährung, Nahrungspumpe, künstlicher Ernährung, Niv, also einer nicht invasiven Beatmung, Sauerstoff usw. nach Hause entlassen – in der Hoffnung, dass Lara sich in ihrer gewohnten Umgebung besser erholt. Wir starteten langsam mit stundenweise Besuchen Zuhause.

Dank der tatkräftigen Unterstützung durch den Krankentransport Südheide war uns dies möglich. Als es endgültig nachhause ging, besserte sich ihr Zustand langsam. Kurz darauf ging es erneut zur familienorientierten Reha.

Nach und nach kämpfte sie sich zurück ins Leben.

An viele Umstände und Hilfsmittel haben wir uns mittlerweile so sehr gewöhnt, dass sie für uns normal geworden sind. Sie gehören einfach zu Laras Leben. Trotz der vielen Veränderungen können wir sagen „Lara is back“.

„In dieser Zeit fuhren wir viel Fahrrad. So auch an einem Abend im August.“

Seit einer Coronainfektion im Mai hat Lara wieder deutlich mehr Schwierigkeiten mit der Belastung und leidet schnell unter Atemnot. Nach den Lockerungen in den Schulen war leider schon fast absehbar, dass sie sich früher oder später infiziert. Ihre Werte sind jedoch vollkommen in Ordnung.

Wir waren sogar gerade erst beim „Kliniktüv“ und es sind alle sehr zufrieden mit ihrem gesundheitlichen Zustand.

Lara geht mittlerweile so gerne wie nie zuvor zur Schule, was uns sehr erfreut. Denn mit ihrem Mutismus und der Sozialphobie war Schule bei Lara früher nie hoch im Kurs. Auch wenn sie in der letzten Zeit nicht super belastbar und bei größeren Ausflügen immer auf den Rollstuhl angewiesen ist, genießen wir die Zeit sehr intensiv und versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten viele besondere Momente zu erleben.

Ansonsten grüßt die Pubertät und ich habe etwas Respekt vor dem was, da wohl auf uns zukommt.

Lara nach der zweiten Transplantation.

Ich spreche oft über das Thema Organspende, weil es auch zur Transplantation dazugehört.

 

Zumindest für mich ist es täglich Thema – und das sowohl in sozialen Netzwerken, als auch im echten Leben. Die meisten Transplantierten und Angehörigen sind sehr gut untereinander vernetzt. Man bekommt viel mit und tauscht sich ständig aus. Man versucht im Rahmen seiner Möglichkeiten auf Organspende aufmerksam zu machen und informiert sich gerne über Neuigkeiten. Wenn ich es rechtzeitig mitbekomme, fahre ich auch zu Veranstaltungen, bei denen es um Organspende geht.

 

Im alltäglichen Leben kommt es durch Lara und ihre Transplantation oft zu Gesprächen rund ums Thema Organspende und ich bin auch eigentlich immer offen für Fragen. Ich habe kein Problem damit, über meine Ängste und Sorgen zu sprechen, da ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Für mich gibt es eigentlich nur einen Punkt, an dem ich empfindlich reagiere, zum Beispiel bei Aussagen wie „Na dann ist sie ja jetzt gesund und alles ist wieder gut“.

 

Ich kläre dann gerne auf, dass es sich um eine Maßnahme handelt, die Laras Lebenszeit verlängert und die Lebensqualität verbessert. Insbesondere die Lunge ist bekanntlich leider sehr empfindlich. Man ist nach einer Transplantation sicher vieles, aber ganz gesund nicht. Was mich sehr trifft, ist zum Beispiel, wenn im engsten Kreis die Hygieneregeln als Blödsinn abgetan werden. Leider kommt auch das manchmal vor, weil viele es eben nicht besser wissen.

Aktuelles Bild von Lara.

Wenn ich mir rund um das Thema Organspende in Deutschland etwas wünschen dürfte, wäre das auf jeden Fall die Widerspruchslösung. Ansonsten definitiv mehr Sichtbarkeit, mehr Aufmerksamkeit, mehr Aufklärung, mehr Verständnis und vor allem mehr Respekt dem Thema gegenüber.

Ich teile einfach mal meine Gedanken und Beobachtungen: Ich selbst schaue kein Fernsehen, würde aber zum Beispiel eine Werbekampagne toll finden. Jedoch keine mit irgendwelchen Schauspielern und einem vorgegebenen, langweiligen Text, sondern eine, die Betroffene mit ihrer persönlichen Botschaft zu Wort kommen lässt.

Ebenfalls verfolge ich auf verschiedenen Plattformen unterschiedliche Vereine, die sich für das Thema Organspende starkmachen. In den Kommentaren zu den Beiträgen fällt mir immer wieder die totale Unwissenheit auf. Das macht mich manchmal tatsächlich traurig.

Oft lese ich Aussagen wie „das ist alles Organhandel“, „die armen Kinder, ihr Leiden mit einer Transplantation zu verlängern ist unverantwortlich“ oder „der hat nur gesoffen, wozu dann eine neue Leber“. Hier jemandem in der schwersten Zeit seines Lebens unterstellt, selbst Schuld zu haben, aus Unwissenheit. Oder was ganz viele ebenfalls nicht wissen: Kinder erhalten nicht nur Organe von Kindern. Laras Spenderlungen stammen beispielsweise beide von erwachsenen Personen.

Am Ende führen Fehlinformationen bei vielen potenziellen Spenderinnen und Spendern dazu, dass sie sich gegen die Organspende entscheiden. Und das ist wirklich schade.

Es muss nicht nur um Organspende geworben und der tatsächliche Ablauf erklärt werden, auch die Vorurteile sollten immer wieder leicht verständlich aufgerollt werden. Manche Menschen müssen an ihrem Standpunkt abgeholt werden und leider sind das wirklich nicht wenige.

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?

Dann senden Sie uns gerne eine Nachricht an kontakt@lebensritter.de.