Fundstücke

„Ich nenne meine Leber Mila, spanisch für Wunder.“

Lisa Bichler studiert im April 2023 in Paris an der Université Sorbonne Nouvelle. Innerhalb kürzester Zeit entwickelt sie unterschiedliche Symptome von Rückenschmerzen über Erbrechen und Gelbfärbung ihrer Haut und Bindehaut der Augen, dann geht sie zum Hausarzt. Elf Tage nach den ersten Symptomen erhält sie eine Organtransplantation. Ohne eine Spenderleber in so kurzer Zeit hätte Lisa nicht überlebt. Heute lebt sie wieder bei ihrer Familie in Passau und berichtet uns von der Zeit vor und nach der lebensrettenden Maßnahme.

 

Lebensritter: Am 21.4.2023 haben Sie in einem Vorort von Paris eine Spenderleber erhalten. Ohne diese hätten Sie nicht überlebt. Was war passiert?

Lisa Bichler: Eigentlich ging damals alles ziemlich schnell. So schnell, dass es fast surreal erschien. Etwas, was man sonst nur aus Filmen kennt.

Elf Tage vor der Transplantation begannen meine ersten Symptome. Symptome, welche ich aber leider nicht einordnen konnte.

Das erste waren starke Rückenschmerzen. Ich dachte mir aber nicht viel dabei. Schließlich war ich nebenberuflich Touristenführerin in Paris und somit viel auf den Beinen. Wahrscheinlich benötigte ich einfach mal wieder ein paar neue Schuhe, dachte ich mir, und blieb damit einfach daheim und arbeitete an meinen Hausarbeiten für die Uni weiter.

Jedoch summierten sich im Laufe der Tage meine Symptome. Es ging weiter mit Erbrechen, dicht gefolgt von extremer Schwäche. Irgendwann begannen sich meine Haut und meine Bindehaut in den Augen gelb zu färben. Wann genau, kann ich leider nicht benennen, da mir viele Erinnerungen aus dem Zeitraum fehlen.

„Irgendwann begannen sich meine Haut und meine Bindehaut in den Augen gelb zu färben.“

Ein Gang in die Notaufnahme kam mir nicht mal in den Sinn. So krank konnte ich ja gar nicht sein, also ging ich zum nächstmöglichen Termin, am folgenden Montag, den 17.04. zum Hausarzt. Dieser verschrieb mir erst nach einer langen Diskussion eine Blutabnahme im nächsten Labor.

Diese stellte sich aber ebenfalls als Hürde heraus. Zuerst wurde ich wieder nach Hause geschickt, da ich nicht mehr nüchtern war. Am nächsten Tag erschien ich erneut, 14 Uhr, nüchtern und so schwach, dass ich kaum noch stehen konnte. Ich wurde wieder abgewiesen, nun aber, weil das Kartenlesegerät nicht funktionierte und ich nicht ausreichend Bargeld bei mir hatte. [Anmerkung Lebensritter: Bei einer europäischen Krankenversichertenkarte muss man in Frankreich die Behandlungskosten oft vorstrecken und erhält diese im Nachgang von der Krankenkasse erstattet.] Sie verwiesen mich an ein anderes Blutlabor. Doch als ich dort ankam, hatte dies bereits geschlossen. Somit musste ich einen weiteren Tag auf die Blutabnahme warten, und so geriet ich am 20.04. endlich an medizinisches Fachpersonal, das richtig reagierte. Mein Blut wurde direkt untersucht, und am Nachmittag desselben Tages, klopfte es bereits an meiner Tür. Hier erwartete mich einer der Ärzte aus dem Labor, der mir erklärte, dass ich umgehend in die Notaufnahme müsste. Er habe bereits einen Krankenwagen bestellt, und er könne mich nicht mehr allein lassen, da meine Werte äußerst kritisch seien.

Lebensritter: Wie ging es dann im Krankenhaus weiter?

Lisa Bichler: In der Notaufnahme angekommen, musste ich erst mal Stunden auf einem kalten Plastikstuhl warten. Irgendwann erhielt ich eine Infusion, und nach einigen Untersuchungen wurde ich direkt in den Raum für schwere Fälle verlegt. Hier erfuhr ich, dass ich aufgrund der schwere meines Falles, in eine entsprechende Klinik, verlegt werden musste. Somit wurde ich noch in derselben Nacht ins C. H. B. des Hôpital Paul-Brousse in Villejuifs gebracht. Erst nach der Verlegung wurde ich über den Zustand meiner Leber informiert. Im Nachhinein erfuhr ich, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch eine Lebenserwartung von maximal zwei Tagen hatte, wenn ich nicht schnell ein Spenderorgan erhalten würde. So wurde ich direkt mit höchster Dringlichkeit auf die Warteliste für Transplantationen gesetzt. Am Tag darauf wurde ich transplantiert.

 

Lebensritter: Von welcher Erkrankung war Ihre Leber betroffen?

 

Lisa Bichler: Ich hatte eine fulminante Hepatitis. [Anm. Lebensritter: Bei einer fulminanten Hepatitis kommt es zum massiven Absterben von Lebergewebe, sogenannter Leberparenchymnekrose, wodurch die Leber schrumpft.] Was bedeutet, dass mein Immunsystem meine Leber zerfressen hat. Die Vermutung für den Auslöser: Proteinpulver. Ich ging viel und gern ins Fitnessstudio und ernährte mich im Laufe des vorhergegangenen Jahres auch dementsprechend. Ich trank vier Proteinshakes pro Woche. Es kann sein, dass mein Körper durch den Konsum eine Allergie gegen das Pulver entwickelt hat. Was schlussendlich dazu führte, dass mein Immunsystem begann, das verarbeitende Organ anzugreifen. Bestätigt ist diese Theorie aber nicht.

Lebensritter: Nach der Transplantation (TX) verließen Sie Paris und kehrten wieder nach Passau zurück. Was war der Grund dafür?

Lisa Bichler: Ich durfte erst drei Monate nach der TX Paris wieder verlassen und zu meiner Familie zurückkehren. Diese war auch der Hauptgrund für meine Rückkehr. Es war schrecklich, so weit von zu Hause weg zu sein, wenn man so schwer krank ist. Zwar war erst mein Vater da, und als ich entlassen wurde,  meine Mutter. Trotzdem war es wirklich hart. Ich lebte auf 10 m2, worin sich Küche, Dusche und Hochbett befanden. Eine unmögliche Wohnsituation nach einer TX. Das Leben in Paris ist definitiv nicht so schön, wie man es sich vorstellt!

Zu guter Letzt war auch das Finanzielle ein Punkt, warum ich wieder nach Hause wollte. Die Versicherungen bezahlten gewisse Medikamente nicht, und wir hatten hohe Eigenbeteiligungen zu leisten.

Lebensritter: Wie geht es Ihnen heute, über ein Jahr nach der Transplantation?

 

Lisa Bichler: Hier ist wichtig zu erwähnen, dass ich keine normale Lebertransplantation (LTX) hatte. Ich erhielt eine auxiliäre LTX. Hierbei wurde der Großteil meiner Leber entfernt, und nur ein winzig kleiner Teil vom linken Leberlappen blieb erhalten, dieser war noch nicht abgestorben und wurde an das Spenderorgan „angebaut“. Das Ziel war die Erholung und völlige Regenerierung der Eigenleber und damit ein medikamentenfreies Leben.
Voraussetzung dafür war, dass die Eigenleber einen gewissen Prozentanteil hätte wachsen sollen. Zum Stichtag war dies leider nicht erreicht. Somit erhielt ich im Juni die Nachricht, dass ein medikamentenfreies Leben, nicht mehr möglich ist.

Unabhängig davon funktioniert mein Spenderorgan super! Ich erholte mich schnell und gut. Ich hatte noch nie Probleme mit „Mila“ (ein spanischer Name basierend auf dem Wort „milagros“, zu deutsch: Wunder), so nenne ich meine Spenderleber, um ihr so eine Persönlichkeit zu geben und somit den Spender oder die Spenderin zu ehren.

„Unabhängig davon funktioniert mein Spenderorgan super! Ich erholte mich schnell und gut.“

Das Schwerste ist aktuell aber der psychische Teil. Die psychischen Folgen des Ganzen holen mich immer mehr ein, und dieser Teil ist fast schwerer als der körperliche. Das letzte Jahr über musste ich funktionieren, um quasi „zu überleben“. Diese heiße Phase ist jetzt vorbei, und mein Kopf hat nun die Kapazität, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Erinnerungen aufzuarbeiten. Ich war nicht lange auf der Warteliste. Ich war nicht lange krank. Für mich war die Transplantation nicht die lang ersehnte Erlösung. Als ich aus dem Koma erwachte, wusste ich nicht mal mehr, was passiert war. Die TX war meine Rettung vor einem unbekannten Feind, der mein Körper war. Hiermit muss ich erst mal klarkommen. Damit und damit, wie sehr sich mein Leben verändert hat. Das ist nicht leicht. Der Einstieg zurück ins normale Leben ist zu manchen Zeiten völlig überfordernd. Ich kann nicht mehr dieselbe Arbeitsbelastung wie früher stemmen. Mir läuft alles manchmal viel zu schnell, und ich kann mich auch einfach nicht mehr so konzentrieren. Ich studiere jetzt wieder, was mir viel Freude bereitet, aber gemeinsam mit der Arbeit auch leider oftmals zu viel wird. Ich bin mittlerweile in Therapie zur Traumabewältigung, und ab September habe ich mich auch in psychiatrische Behandlung begeben.

Lebensritter: Sie mussten regelmäßig zur Nachuntersuchung nach Frankreich, da die Transplantation besonders war. Wie bewerkstelligten Sie die Strapazen mit An- und Abreise?

 

Lisa Bichler: Gute Frage! Ganz ehrlich und kurz: Es war schrecklich!

 

„Ich vertraute meinen Lebensrettern voll und ganz! Deshalb reiste ich im September 2023 wieder nach Paris zu meinen Nachuntersuchungen.“

Anfangs wollte ich unbedingt wieder zurück nach Frankreich. Zurück in mein Leben in Paris. Mein Studium an der Sorbonne Nouvelle abschließen. Auch meine Ärzte und Ärztinnen wollten mich aufgrund meiner speziellen Transplantation nicht aus den Händen geben. Ich vertraute meinen Lebensrettern voll und ganz! Deshalb reiste ich im September 2023 wieder nach Paris zu meinen Nachuntersuchungen.

Die Reise war anstrengend und teuer. Zum Glück konnte ich bei Freundinnen übernachten und vor Ort in Paris etwas arbeiten und es mir somit finanziell etwas erleichtern. Hierbei merkte ich, dass dieses Hin- und Herreisen nicht wirklich möglich ist und viel zu anstrengend ist.

Aber je länger ich auch wieder in Deutschland war, realisierte ich, dass ich auch nicht wirklich wieder nach Paris zurückziehen möchte. Die Stadt ist einfach zu voll, die Wohnungen zu klein, die Lebensqualität zu schlecht, die Arztrechnungen zu hoch.

Somit wechselte ich zum Neujahr 2024 nach Regensburg an die LTX-Ambulanz. Eine der besten Entscheidungen, die ich treffen konnte, was meine Nachsorge angeht! Auch meine Eltern können endlich Fragen stellen, da die Sprachbarriere nicht mehr alles erschwert.

Lebensritter: Denken Sie oft an Ihre Organspenderin/ Ihren Organspender?

 

Lisa Bichler: Ja! Ich frage mich oft, wenn ich schöne Dinge erlebe, ob mein Glück mitbekommen wird. Kommt meine neue Liebe für dies oder das davon? Mache ich jemanden stolz? Ich möchte mir auch eines Tages ein Tattoo stechen lassen, um meine Dankbarkeit auszudrücken. Einen Blumenstrauß, gezeichnet mit dem Namen Mila und dem TX-Datum. Am Rücken auf Leberhöhe. Niemals soll die Person vergessen werden! Ich lebe für diese Person weiter.

Auch frage ich mich oft, wie die Person wohl war? War es ein Mann oder eine Frau? Wie alt? Was tat sie oder er gern in ihrem beziehungsweise in seinem Leben? Gerne würde ich etwas tun, was ihr oder ihm Freude bereitet hat, um so diese Person zu ehren.

Lebensritter: Sprechen Sie oft über Organspende und wie ist aus Ihrer Sicht die Einstellung der Menschen zu dem Thema?

 

Lisa Bichler: Nach meiner LTX, begann ich meine Geschichte über Instragram und Tik Tok zu teilen. Mein Ziel war es, die Menschen mit auf meine Recovery-Reise [Anm. Lebensritter: Wiedererlangung von Gesundheit] zu nehmen und Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Ich wusste vor meiner eigenen TX kaum etwas über Organspende. Nur das, was ich aus Filmen oder Arztserien kannte. In meinem Fall reichte dies aus, um mir einen Organspendeausweis zu besorgen und diesen auszufüllen. Viele haben die Thematik einfach nicht auf dem Schirm, und das möchte ich ändern! Auch wenn ich mit meinem Kanal nur eine winzig kleine Handvoll Menschen erreiche. Zumindest das!

 

Außerdem nutze ich meine Schulpraktika und kläre an den verschiedensten Schulen und Klassen über Organspende auf, indem ich ihnen von meiner Geschichte erzähle und ihnen die Fakten aufzeige.

Lebensritter: Was wünschen Sie sich rund um die Organspende in Deutschland?

 

Lisa Bichler: Ich würde mir eine Gesetzesreform wünschen. Auch in Deutschland sollte die Widerspruchslösung gelten.

Und wenn eine Widerspruchsregelung nicht durchkommt, dann sollte noch mehr aufgeklärt werden!

Es soll endlich verstanden werden, was Organspende tatsächlich bedeutet; dies kann man nur erreichen, indem Menschen wie ich ihre Geschichte teilen.

Und wenn ich schon ganz utopisch denke, würde ich mir eine europaweite Regelung für Organspende am besten in Form der Widerspruchslösung wünschen.

„Es soll endlich verstanden werden, was Organspende tatsächlich bedeutet; dies kann man nur erreichen, indem Menschen wie ich ihre Geschichte teilen.“

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?

Dann senden Sie uns gerne eine Nachricht an kontakt@lebensritter.de.