Fundstücke

Das Laufen rettete ihr das Leben

Inka Nisinbaum wurde mit der Erkrankung Mukoviszidose geboren, die Ärzte prophezeiten ihren Eltern, dass Inka eine Lebenserwartung von vier Jahren hat. Mittlerweile lebt Inka in Amerika und ist Mutter eines Sohnes. 

Lebensritter: Als Du geboren wurdest, haben die Ärzte die Erkrankung Mukoviszidose diagnostiziert und Deinen Eltern gesagt, dass du wahrscheinlich nur vier Jahre alt wirst. Wie war es möglich, die Erwartungen der Ärzte zu übertreffen? 

Inka Nisinbaum: Zum einen wahrscheinlich dadurch, dass auch Ärzte sich manchmal irren können und zum anderen, weil meine Eltern mich trotz allem wie ein ganz normales Kind haben groß werden lassen. Ich bin nicht unter einer Käseglocke groß geworden, sondern draußen, genauso wie meine gesunde Schwester, stets aktiv und stets in Bewegung. Trotz meiner eingeschränkten Lungenleistung bin ich auch als Kind viel gerannt, bin geklettert, habe mich mit anderen Kindern im Seilspringen und Gummitwist gemessen und dummes Zeug angestellt. Die viele Bewegung hat meine Lungenmuskulatur gestärkt und mich widerstandfähiger gemacht. Ebenso haben die vielen Kontakte mit anderen Kindern, Rotznasen und lästigen Kinderkrankheiten mein Immunsystem auf Vordermann gebracht. Meine Eltern haben mich trotz eingeschränkter Lebenserwartung nicht geschont und damit fit für ein Leben gemacht, das weit über vier Jahre hinausreicht.

„Ich bin nicht unter einer Käseglocke groß geworden, sondern draußen, genauso wie meine gesunde Schwester, stets aktiv und stets in Bewegung.“

Lebensritter: Wie gestaltete sich Dein Leben bis zur Transplantation im Jahre 2002?

Inka Nisinbaum: Bis zum Jahr 2001, bis zu meiner Listung zur Transplantation, würde ich sagen, dass sich mein Leben nicht großartig von den Leben meiner gesunden Freunde unterschied. Sicher, ich war ab und an mal im Krankenhaus, habe 14-tägige IV Therapien [Anm. Lebensritter: intravenöse Antibiotikatherapien] über mich ergehen lassen müssen, hatte immense Fehlzeiten in der Schule, Pillen, inhalieren, dergleichen und dennoch war ich ein recht normaler Teenager. Vor allem mein Sport hat mich mehr oder weniger gesund bis ins junge Erwachsenenalter gebracht. Mit zehn habe ich mit dem Laufen angefangen. Laufen war meine Therapie. Es hat mir dabei geholfen, den lästigen Schleim aus der Lunge besser abhusten zu können und hat mich fit gemacht. Ich war die Schnellste in meiner Klasse, trotz eingeschränkter Lungenleistung. Nach der Schule bin ich, ebenfalls wie die meisten meiner Freunde, bei meinen Eltern ausgezogen und habe ein Psychologiestudium begonnen. Bis im Jahr 2001 meine Lunge und Leber nicht mehr wollten.

Lebensritter: Inwieweit warst Du von der Krankheit eingeschränkt?

Inka Nisinbaum: Auch, wenn ich gerade eben noch erwähnt habe, dass ich ein recht gesundes Leben führte bis zu meiner Listung, gab es natürlich dennoch viele Einschränkungen. Vor allem als Teenager ist es nicht leicht, mit einer chronischen Erkrankung leben zu müssen. Auf Grund meiner schon im Kindesalter beginnenden Leberzirrhose hatte ich stets einen dicken Bauch, aber stockdünne Arme und Beine. Ich bin mein ganzes Teenagerdasein in sackartigen Pullovern herumgelaufen, um meinen Bauch zu verstecken. Schwimmunterricht in der Schule war der Horror. Zwar hatte ich immer Freunde um mich herum, die mich ganz einfach so akzeptiert haben wie ich war, aber im Badeanzug kann man seinen Bauch dennoch nicht verstecken. Als ich 16 war sah ich noch immer aus wie elf. Auf Grund meiner eingeschränkten Gesundheit war meine körperliche Entwicklung verlangsamt.

Heute habe ich für dergleichen nur ein Schulterzucken übrig, doch mit 16 ist es nicht einfach, wie elf auszusehen. Mit 18 habe ich insulinpflichtigen Diabetes bekommen, konnte auf Grund dessen nicht an unserer Abschlussfahrt von der Schule teilnehmen. Von nun an musste ich darauf achten, dass ich nicht zu viele Kohlenhydrate aß, den Insulinbedarf richtig einzuschätzen und im richtigen Moment Zucker einzunehmen, wenn mein Blutzucker mal wieder eine Talfahrt machte.

Damals wie heute kann ich nicht unbeschwert essen. Das ist definitiv eine Einschränkung, ich liebe Essen. Doch die größte Einschränkung in den ersten 20 Jahren meines Lebens war die, nicht so gesund auszusehen und zu erscheinen, wie ich es mir wünschte. Man konnte mir ansehen, dass ich krank war und genau das hat mich in meinen jungen Jahren am meisten gestört und eingeschränkt. Ich war nicht stolz darauf, trotz Mukoviszidose und trotz einer Lebenserwartung von vier Jahren noch da zu sein. Ich wollte ganz einfach nur normal sein.

Lebensritter: Du wolltest lange keine Transplantation, wann musstest Du Deine Meinung ändern?

Inka Nisinbaum: Es ist nicht so, dass ich keine Transplantation wollte, ich war ganz einfach nur lange Zeit der Ansicht, dass ich noch keine brauchen würde. Ich war es schon so gewohnt, mit 30% Lungenvolumen durch mein Leben zu laufen, es fühlte sich nicht nach einer Komplikation an, die eine Transplantation erforderte. Trotz allem ging ich noch laufen, studierte, ging abends mit meinen Mädels aus, eine Transplantation schien noch in weiter Ferne zu sein. Meine Meinung änderte sich erst, als meine Leberzirrhose anfing, mir Probleme zu bereiten. 

Auf Grund der Zirrhose hatte ich viel Wasser im Bauchraum eingelagert, so viel, dass ich nicht mehr laufen gehen konnte. So viel, dass mein Leben plötzlich zur Qual wurde. Ich konnte keine Jeanshosen mehr anziehen, ich konnte kaum mehr essen und hatte Schmerzen, wenn ich mit dem Bus zur Uni fuhr. Das war der Moment in dem ich erkannte, dass eine Transplantation eben doch nicht mehr in weiter Ferne lag. Ein Leben mit schmerzgefülltem Bauch und pfeifender Lunge war kein Leben, welches ich leben wollte. Das war für mich der Moment, in dem ich bereit war, alles auf eine Karte zu setzen. Entweder alles, ein gesundes Leben nach einer Transplantation, oder nichts und auf dem OP-Tisch sterben.   

Inka Nisinbaum bei ihrer Lieblingsbeschäftigung

Lebensritter: Wie lang war die Wartezeit bis es zur Transplantation kam? Konntest Du nach der Transplantation wieder relativ schnell ein beschwerdefreies Leben führen?


Inka Nisinbaum: Ich habe 15 Monate auf meine Transplantation gewartet. 15 harte Monate darum gekämpft, es bis zum erlösenden Anruf zu schaffen.

Die Zeit danach, ist schwer zu beschreiben in ein paar Sätzen. Für mich war es kein Aufwachen, Durchatmen und sich über die neue Lunge, und in meinem Fall neue Leber, zu freuen. Ich hatte während, und die ersten Tage nach der Transplantation, so viel an Muskelmasse verloren, dass ich zunächst meine Atemmuskulatur wiederaufbauen musste, um überhaupt alleine atmen zu können. Genauso musste ich meine Körpermuskulatur erst wiederaufbauen, um alleine aus dem Bett zu kommen. Ich war so schwach zu Beginn, dass ich noch nicht mal meinen Kopf alleine anheben konnte. Körperlich hat es ein Jahr gedauert, wieder fit zu werden. Mental viel länger. Das Leben als Transplantierte ist ein ganz anderes Leben, als das einer Mukoviszidosepatientin. Wusste ich als Muko [Anm. Lebensritter: Abkürzung für Mukoviszidosepatientin] jegliches Zucken meines Körpers richtig einzuschätzen, betrat ich als Transplantierte komplettes Neuland.

Das Leben eines Transplantierten ist gepflastert mit Regeln, Verboten und Ängsten. Die ständige Angst einer Abstoßung oder einer Erkältung. Wann muss ich meinen Mundschutz tragen, wann darf ich ihn absetzen? Darf ich ein weichgekochtes Ei essen? Oder muss es hartgekocht sein? Rückblickend würde ich sagen, dass ich fünf Jahre gebraucht habe, in meinem neuen Leben wirklich anzukommen und es mit Selbstvertrauen leben zu können. Nach fünf Jahren hatte ich für mich meinen Weg gefunden. Nach fünf Jahren fühlte ich mich sicher genug selbst entscheiden zu können, wie vielen Regeln ich nachkomme und wieviel Leben ich mir erlauben durfte.

Lebensritter: Wie hat der Umzug in die USA Dein Leben verändert? Musstest Du auf andere Medikamente umsteigen?

Inka Nisinbaum: Zunächst zu Frage Nummer zwei: Nein, ich musste auf keine neuen Medikamente umsteigen. Bevor mein Mann und ich überhaupt erst die USA in Betracht gezogen haben, haben wir uns natürlich erkundigt. Wie würde ich krankenversichert sein? Kann ich alle Medikamente, die ich daheim bekomme, auch in den USA bekommen? Gibt es ein Transplantationskrankenhaus in der Stadt, in die wir ziehen würden? Und viele, viele tausend Fragen mehr. Unser Umzug hing von all diesen Fragen ab. Wir hätten diesen Schritt niemals gewagt, wären wir nicht sicher gewesen, dass meine gesundheitliche Versorgung lückenlos fortgesetzt werden konnte.

Der letztendliche Umzug 2009 in die USA hat mein Leben immens verändert. Wenn man in den USA eine gute Krankenversicherung hat, ist man König. Alles, was meine Gesundheit betrifft, ist mit wenig Aufwand verbunden. Neue Rezepte bestellen? Ein Anruf. Mit meiner Transplantationsklinik kommunizieren? Eine E-Mail. Einen Termin wahrnehmen? Maximal 15 Minuten Wartezeit. Luxus pur.

Auch der Umgang mit den Transplantierten ist anders hier. Zum einen sind die Ärzte hier etwas entspannter als in Deutschland. Erzählt man einem Lungentransplantationsarzt in Deutschland, dass man als Transplantierter gerne im Garten buddelt, werden erschrocken die Hände vors Gesicht geschlagen. In den USA wird einem angeraten, bei der Gartenarbeit einen Mundschutz zu tragen und danach die Hände gut zu waschen. Der Erkrankung genügend Respekt entgegenzubringen ist wichtig, doch leben ebenso. Eine Grundeinstellung, die mir sehr entgegenkommt.

Am meisten hat sich mein Leben in den USA jedoch dahingehend verändert, dass ich hier Mutter geworden bin. Etwas, was in Deutschland, zu großer Wahrscheinlichkeit, nicht möglich gewesen wäre. Auch hier waren die Zweifel groß, aber man hat mich dennoch in der Erfüllung meines größten Wunsches unterstützt. Seit 3,5 Jahren bin nicht mehr ich, die Transplantierte, der Mittelpunkt unserer Familie, sondern unser kleiner Mann. Normal, das, was ich als Teenager immer wollte.

Inka Nisinbaum mit ihrem Sohn

Lebensritter: Du bist im Jahre 2013 Mutter geworden, trotz Warnungen der Ärzte, dass dies gefährlich wäre. Musstest Du auf bestimmte Dinge achten?

Inka Nisinbaum: Der Weg hin zu meiner Schwangerschaft war sehr lang und steinig. Es war keine Entscheidung, die mein Mann und ich leichtfertig getroffen haben, es war eine Entscheidung der viele Vorbereitungen vorausgingen. Bevor wir das Thema Schwangerschaft richtig angingen, wusste ich bereits, dass ich alle meine Medikamente weiterhin würde einnehmen können. Ich wusste, dass mein Blutzucker top eingestellt sein musste, schon Monate vor einer möglichen Schwangerschaft, und ich wusste, dass ich fit sein musste, denn meine Lungenleistung würde unweigerlich abflachen während der neun Monate. Ganz einfach aus dem Grund, weil das Baby irgendwann von unten gegen die Lunge drückt und diese einengt. Ich war vorbereitet und musste während der Schwangerschaft, was Medikamente und Therapie betraf, nichts ändern. Achten musste ich eigentlich nur auf meinen Blutzucker, der während meiner Schwangerschaft besser eingestellt war, als der meiner gesunden Ärztin. Weiterhin bin ich während der neun Monate natürlich sehr engmaschig untersucht worden. Der größte Fokus lag hierbei auf dem Baby, nicht sonderlich auf mir. Ich ging, wie sonst auch, alle drei Monate zur Kontrolle zu meinen Transplantationsärzten, sonst nichts. Es war im Großen und Ganzen eine normale Schwangerschaft. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich ständig meinen Blutzucker gemessen habe.

Lebensritter: Im Jahre 2015 wurde dann Deine Autobiografie veröffentlicht, welchen Zweck willst Du mit dem Buch bewirken?

Inka Nisinbaum: Ganz besonders, nachdem ich Mutter geworden bin, hatte ich stets das Gefühl, meine Geschichte mit anderen teilen zu müssen. Mukoviszidose, eine Lebenserwartung von vier Jahren, Doppellungen- und Lebertransplantation, geheiratet, in die USA gezogen, Mutter geworden und top fit 14,5 Jahre post Transplantation – das ist eine Geschichte, die Mut macht. Mein Leben zeigt, dass unmöglich eben doch manchmal möglich ist. Wenn ich nur einem Menschen durch meine Geschichte dazu verhelfen kann, nicht aufzugeben und weiterzukämpfen, dann habe ich schon erreicht was ich erreichen wollte.

Zudem ist Schreiben meine Leidenschaft. Meine Autobiographie ist lediglich Buch Nummer Eins.

Das Buchcover von Inkas Autobiografie

Lebensritter: Seitdem bist Du auch öfter auf Lesungen und stellst das Buch vor, wie ist die Resonanz der Zuhörer? 


Inka Nisinbaum: Meist sind meine Zuhörer sprachlos, dann gerührt und letztendlich begeistert. Es ist stets eine Mischung aus ‘anderen Betroffenen Mut machen‘, ‘Angehörigen Hoffnung geben‘ und diejenigen, die mit Transplantierten arbeiten, darin bestätigen, was sie selbst schon lange wissen. Dass wir Mukos zäh sind und oftmals mehr möglich machen als Ärzte für möglich halten.  

Lebensritter: Wie ist die jetzige Situation für Dein Kind, Dich und Deinen Partner könnt ihr ein „normales“ Leben führen?

Inka Nisinbaum: Zum Glück ja, wir haben den Luxus, ein normales Leben führen zu können. Trotz allem bin ich natürlich noch immer Insulinpflichtig, muss auf Grund der Mukoviszidose auf meine Ernährung achten, täglich eine Hand voll Pillen einnehmen und generell etwas mehr auf meine Gesundheit achten als andere, aber dergleichen hält mich nicht davon ab, ein normales Leben zu führen. Vielmehr hat mir das Muttersein gezeigt, zu wieviel ich fähig bin, trotz der vielen Diagnosen, die ich im Gepäck mit mir herumtrage. Hätte mich zu wenig Schlaf früher geängstigt, hätte ich Bedenken gehabt, auf Grund dessen krank zu werden, weiß ich heute, dass es auch mit sehr wenig Schlaf irgendwie geht. Dank Kind weiß ich, dass ich eine Stunde Sport machen und dann trotz allem noch eine Stunde mit Kind schwimmen gehen kann, ohne tot umzufallen. Ich weiß, dass ich trotz herabgesetzter Immunabwehr nicht jede Kinderkrankheit bekomme, die der kleine Mann mit nach Hause bringt, und ich weiß, dass man mir meine Erkrankung nicht mehr ansieht, dass sie mein Leben nicht mehr ausmacht. Ich bin endlich gesund.

Nur manchmal, wenn ich unserem kleinen Mann beim Spielen zusehe, frage ich mich, wie lange werde ich noch für ihn Dasein können? Ich bin nun seit 14,5 Jahren transplantiert. Wie lange habe ich noch? Werde ich ihn begleiten können, bis er selbst erwachsen ist? Wird er sich an mich erinnern können? Oder werden ihm nur Bilder und Videos von mir bleiben? Doch dann sage ich mir, keiner kennt die Antworten auf diese Fragen, gesund oder chronisch krank. Auf die nächsten 14,5 Jahre – denn unmöglich ist letztendlich nur Ansichtssache.

Wer mehr über Inka Nisinbaum, ihr Buch und ihre weiteren Projekte erfahren möchte, kann dies auf ihrer Homepage oder auf ihrer Facebookseite tun.

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