Menschen

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Manchmal ist es Schicksal, manchmal Glück und manchmal auch Zufall – wenn sich Schutzengel zusammentun und das Schicksal es gut mit einem meint, bekommt selbst eine lebensbedrohliche Situation ein Happy End. Ravi hat es erlebt. Und überlebt. Im Alter von 14 Jahren wurde er von heute auf morgen krank. So krank, dass nur eine Transplantation sein Leben retten konnte. Wir haben mit dem heute 16-Jährigen und seiner Mutter Nicole gesprochen.

Lebensritter: Ravi, mit 14 Jahren hat Dein Herz plötzlich versagt. Hast Du vorher irgendetwas gemerkt?

 

Ravi Enders: Nein, gar nichts. Ich habe einen angeborenen Herzfehler, das wusste ich aber nicht. Meine Herzscheidewand hatte ein Loch, so 1,5 Zentimeter groß, und mein Herzmuskel war schon von Geburt an schwach. Das ist aber nie aufgefallen. Ich hatte damit auch nie Probleme – ich bin zur Schule gegangen, hatte Hobbys, alles ganz normal. Irgendwann kam dann allerdings noch eine chronische Herzmuskelentzündung dazu, die in Kombination mit dem Herzfehler zu einer Herzinsuffizienz geführt hat. [Anmerkung Lebensritter: Bei einer Herzinsuffizienz, auch Herzmuskelschwäche, kann das Herz den Körper nicht mehr ausreichend mit Blut und damit Sauerstoff versorgen.]

Lebensritter: Hast Du Sport getrieben?

 

Ravi Enders: Ja, schon in der Grundschule habe ich getanzt – erst Hip-Hop und später fing ich noch mit Standardtänzen an, also Walzer und so.

Lebensritter: Wann hast Du denn gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt?

 

Ravi Enders: Im September 2020 wurde ich krank, nichts Dolles eigentlich.

Nicole Enders: Es war wirklich nur ein kleiner Schnupfen und ein Hüsterchen, was man schon mal so hat. Dann war es weg, dann kam es wieder, dann war es wieder weg. Nichts Besorgniserregendes oder Auffälliges.

Lebensritter: Aber irgendwann wurde es dann auffällig …

 

Ravi Enders: Genau. Ich war immer müde und musste mich ständig erbrechen. Mir ging es unfassbar schlecht, ich konnte mich gar nicht mehr bewegen. Ich lag nur noch rum. Ich habe auch nichts mehr gegessen. Wir sind zum Arzt gegangen, aber da hat man nichts Konkretes feststellen können.

 

Nicole Enders: Der Kinderarzt hat ihn untersucht und vermutete einen Infekt oder beginnendes Asthma. Das hörte sich auch erstmal schlüssig an. Aber der Husten und das Erbrechen wurden immer schlimmer. Er lag in seinem Zimmer mit seinem Eimerchen und hat nichts so wirklich drin behalten, dann kamen noch Schmerzen in den Knien dazu. Ich habe ihn angeschaut und dachte nur: Die Knie sind so dick – was ist das denn? Und sah an seinem Oberkörper, wie das Herz schlug. Ich habe nur gedacht: Warum bewegt sich das so rauf und runter? In dem Moment war mir klar, dass es sich nicht um Asthma oder eine Erkältung handeln kann. Weil der Kinderarzt im Urlaub war, sind wir direkt hier in Dinslaken ins Krankenhaus gefahren.

Lebensritter: Ravi, was hast Du in dem Moment gedacht?

 

Ravi Enders: Ich habe eigentlich gar nichts gedacht. Es ging mir einfach nur schlecht. Erst wollte ich auch nicht ins Krankenhaus, aber es ging halt nicht anders.

Lebensritter: Was wurde im Krankenhaus gemacht?

 

Ravi Enders: Ich kam in einen Untersuchungsraum, wurde abgehört und der Blutdruck wurde gemessen. Dabei zeigte sich, dass mein Herz viel zu schnell und auch komisch schlug. Dann wurde noch ein Ultraschall gemacht und noch ein paar Sachen.

 

Nicole Enders: Der Ruhepuls war mit 136 viel zu hoch [Anmerkung Lebensritter: Bei Erwachsenen liegt der Puls in Ruhe bei etwa 60 bis 80 Schlägen pro Minute, bei älteren Kindern und Jugendlichen etwa bei 80 bis 100]. Wir hatten einfach Glück – ich glaube, wir waren am richtigen Tag im richtigen Moment am richtigen Ort: Wir haben die richtige Ärztin gehabt, der Chefarzt war da, der viele Jahre in der Kinder-Kardiologie tätig war …

„Wir hatten einfach Glück – ich glaube, wir waren am richtigen Tag im richtigen Moment am richtigen Ort.“

Lebensritter: Wie ging es dann weiter, also nachdem erkannt wurde, dass mit Ravis Herz etwas nicht stimmt?

 

Nicole Enders: Er hat erstmal eine Infusion bekommen, weil er ja komplett dehydriert war. Beim Ultraschall hat man sofort gesehen, dass sich unter der Lunge Wasser gebildet hat, daher der Husten – die Lunge wurde hochgedrückt, weil sich 700 ml Wasser angesammelt hatten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich einen riesigen dunklen Fleck auf dem Ultraschall gesehen habe, den man selbst als Laie gut erkennen konnte.

Lebensritter: Wie hast Du Dich in dem Moment gefühlt?

 

Ravi Enders: Ich kann mich nicht mehr gut daran erinnern. Ich hatte keine großen Schmerzen und Angst hatte ich eigentlich auch nicht. Eigentlich war ich relativ entspannt. Mir war zwar klar, dass nicht alles gut ist, aber ich wusste, dass mir geholfen wird, deswegen habe ich mich relativ sicher gefühlt.

 

Nicole Enders: Die Ärzte haben uns unfassbar gut begleitet. In keinem Moment wurde jemand hektisch, obwohl allen schnell klar war, dass es sich um eine lebensbedrohliche Situation handelte. Sie haben uns keine Angst gemacht, sie haben uns sehr gut aufgefangen. Der Chefarzt hat sehr kompetent und sehr einfühlsam ganz genau erklärt, dass das Herz vergrößert ist. Ravi musste dann ins Herzzentrum nach Duisburg verlegt werden.

Lebensritter: War denn zu diesem Zeitpunkt klar, dass Ravi einen angeborenen Herzfehler hat?

 

Nicole Enders: Nein, das wussten wir nicht und man konnte das auch auf dem Ultraschall nicht sehen. Klar war nur, dass sein Herz nicht in Ordnung ist. Wie akut es war, wurde mir erst richtig klar, als der Chefarzt sagte: „Ich lasse sie jetzt nicht mehr allein, ich fahre mit!“ Da habe ich gedacht: Gut, wenn der Chef jetzt die Klinik verlässt und mit uns nach Duisburg fährt, dann ist es schlimm.

Lebensritter: Was ist dann weiter passiert?

 

Ravi Enders: Da lag ich eine Woche auf der Intensivstation und musste auf ein Bett in der Herzklinik in Bad Oeynhausen warten, wo ich ein neues Herz bekommen sollte. Mir wurde als Erstes eine Drainage gelegt, damit das Wasser unter meiner Lunge abfließen konnte. Danach ging es mir schnell wieder relativ gut. Aufstehen konnte ich aber nicht.

 

Schließlich bin ich mit einem Helikopter in die Herzklinik geflogen worden. Dort wurde nach zwei Tagen entschieden, dass ich ein LVAD, also ein Herzunterstützungssystem bekommen sollte. Nach der Operation versetzte man mich erst mal für zwei Wochen ins künstliche Koma. Als ich wieder wach war, wurde ich gleich als hochdringlich für ein Spenderherz gelistet und musste ab diesem Zeitpunkt glücklicherweise nur zwei Wochen auf das neue Herz warten.

 

Die Herz-OP dauerte acht Stunden, alles hat problemlos geklappt.

Lebensritter: Wie war das nach der OP, als Du aufgewacht bist … hattest Du Schmerzen, hast Du Dich irgendwie anders gefühlt?

 

Ravi Enders: Schmerzen hatte ich nicht, ich war ja noch vollgepumpt mit Medikamenten. Mein Herz hat ganz stark geschlagen, das habe ich deutlich gespürt – dieses Gefühl kannte ich nicht, weil mein altes Herz ja viel schwächer war und mein Körper sich daran gewöhnt hatte. Ich wusste gar nicht, wie sich ein normal schlagendes Herz anfühlt.

„Mein neues Herz hat ganz stark geschlagen, das habe ich deutlich gespürt – dieses Gefühl kannte ich nicht.“

Lebensritter: Ging es dann in die Reha?

 

Ravi Enders: Nein, ich musste erstmal zunehmen, weil ich halt sehr viel abgenommen hatte und sich die Muskeln durchs Liegen abgebaut hatten. Im Krankenhaus habe ich schon Physiotherapie bekommen. Nicht nur Bewegungstraining, sondern auch Hustentraining – es hatte sich ja so viel Schleim angesammelt, den musste ich abhusten – und Atemtraining. Ich bin ja beatmet worden und der Körper verlernt dann, selbst zu atmen. Das muss man erst wieder lernen.

Lebensritter: War Dir bewusst, dass Du hättest sterben können?

 

Ravi Enders: Ich kann mich an die Zeit schlecht erinnern, deshalb fällt es mir schwer, etwas dazu zu sagen. Aber ich denke schon, dass mir das bewusst war.

 

Nicole Enders: Es war ihm bewusst, schon in Duisburg. Es war schnell klar, dass die Situation lebensbedrohlich war und eine Transplantation die einzige Überlebenschance bot. Das wusste Ravi auch. Er wusste, dass er hätte sterben können, und wollte mitentscheiden.

Lebensritter: Mitentscheiden über was?

 

Ravi Enders: Rein rechtlich hätte ich gar nichts entscheiden dürfen, ich war ja erst 14 Jahre alt. Ich hätte aber mit meinen Eltern über meine Wünsche sprechen können und meine Eltern hätten dann in meinem Sinne entschieden.

 

Nicole Enders: Als Eltern hätten wir theoretisch sagen können: Nein, wir wollen kein Spenderherz. Aber wie viel Sinn macht das? Das war seine letzte Option. Der einzige Weg, sein Leben zu retten, war die Transplantation. Und ich lasse mein Kind ja nicht sterben!
Er hätte aber zum Beispiel entscheiden können, was geschehen soll, wenn er aus der Narkose nicht mehr erwacht wäre. Oder was wäre gewesen, wenn lebenserhaltende Maßnahmen notwendig geworden wären? Und da kann man mit 14 Jahren schon eine Entscheidung treffen. Ich finde, ich habe zu respektieren, was mein 14-jähriger Sohn, der bei klarem Verstand ist und eine gewisse Reife hat, für sich entscheidet. Er kann und darf seine Wünsche äußern – und daran muss ich mich als Mutter auch halten.

Lebensritter: Habt Ihr Euch vorher schon mal mit den Themen Organspende und Transplantation beschäftigt?

 

Ravi Enders: Man bekommt ja einiges in den Nachrichten mit. Oder auch auf YouTube. Bewusst habe ich mich aber nicht damit auseinandergesetzt. Ich wusste, worum es geht, aber es hatte in meinem Leben einfach keine Relevanz.

 

Nicole Enders: Mein Mann und ich hatten schon immer Organspendeausweise, wir haben auch mit den Kindern darüber gesprochen. Das Thema war bei uns immer positiv behaftet: Man war halt Organspender, das war etwas ganz Normales – es nicht zu sein, kam für uns gar nicht in Frage. Ich engagiere mich jetzt nach der ganzen Geschichte auch als Patin für Organspende. [Anmerkung Lebensritter: Das Projekt des Netzwerkes Organspende NRW hat es sich zum Ziel gesetzt, ehrenamtliche Patinnen und Paten so zu schulen, dass sie rund um diese Thematik informieren, fundiertes Wissen weitervermitteln und den Menschen dabei helfen können, sich mit dem Gedanken an Organspende vertraut zu machen.]

Lebensritter: Wie haben eigentlich die Menschen im privaten Umfeld reagiert?

 

Nicole Enders: Wir sind sehr engagiert in der Kirche und kennen dadurch natürlich eine Menge Leute. Ich habe in der ganzen Zeit nicht viel erzählt und auch nicht immer sofort, aber ich habe die Menschen behutsam mitgenommen. Wenn ich denen gesagt hätte, wir sind jetzt im Krankenhaus, die Situation ist lebensbedrohlich, dann hätten sich alle Sorgen gemacht. Also habe ich es peu à peu gemacht, zum Teil mit zeitlichem Abstand, und auch gesagt: Meldet euch gerne telefonisch, und wenn ich nicht sofort antworte, dann ist nichts Schlimmes passiert, dann habe ich nur einfach gerade keine Zeit.

Lebensritter: Welche Zukunftspläne hast Du? Kannst Du alles machen oder gibt es Einschränkungen?

 

Ravi Enders: Beruflich gibt es tatsächlich Einschränkungen: Erzieher im Kindergarten beispielsweise – Kinder sind ja eigentlich immer krank, und das ist zu gefährlich für mich, weil es zu viele Keimquellen gibt. Genauso wie beim Tierpfleger. Ansonsten gibt es nicht viele Einschränkungen. Natürlich muss ich auf meine Ernährung achten, ich darf nichts Rohes essen. Nüsse sind auch nicht gut, wegen der Schimmelsporen. Und ich muss selbstverständlich meine Medikamente nehmen. Als Nächstes will ich mein Abi machen. Dann würde ich gerne Astrophysik studieren oder in den medizinischen Bereich gehen. Aber erst muss ich wieder richtig fit werden!

„Wir hatten schon immer Organspendeausweise und haben auch mit den Kindern darüber gesprochen. Das Thema war bei uns immer positiv behaftet.“

Sind Sie auch ein Lebensritter und haben eine Geschichte zum Thema Organspende zu erzählen?

Kontaktieren Sie uns gerne direkt unter kontakt@lebensritter.de.